Der Sternwanderer
Film-Besprechung von Marcel Scharrenbroich
Märchen mit Humor und Herz
Überraschung!
Wir befinden uns im 19. Jahrhundert. Irgendwo in England, mitten im Nirgendwo, liegt das kleine Dörfchen Wall. Abseits des Dorfes steht eine niedrige Mauer (wie passend!), hinter der es augenscheinlich nur in den finsteren Wald führt. Doch weit gefehlt! Durchquert man die Mauer durch den winzigen Spalt, der das steinerne Gebilde unterbricht, gelangt man ins magische Reich Stormhold. Damit Unbefugten der Zutritt verwehrt bleibt, wird diese Öffnung seit gefühlten Ewigkeiten rund um die Uhr bewacht. Nichts, was den Jüngling Dunstan Thorn (Ben Barnes) aufhalten könnte. Neugier und eine List, mit der er die in die Jahre gekommene Wache austrickst, führen ihn eines Nachts auf die andere Seite. Und auf dem Markt von Stormhold geht es reichlich zauberhaft zu, was den staunenden Burschen nur allzu verzückt. Ebenfalls verzückt ist er von dem Mädchen Una (Kate Magowan), welches von einer Hexe als Sklavin gehalten wird. In Wahrheit sei sie eine Prinzessin, sagt sie, doch um Dunstan ist es da bereits geschehen. Gekrönt wird sein kurzer Aufenthalt durch eine gemeinsame Nacht mit der hübschen Fremden.

Das eigentliche Highlight lässt aber noch gute neun Monate auf sich warten. Da steht nämlich ein Körbchen mit interessantem Inhalt vor Dunstans Tür. „Nanüchen“, wird er sich da gedacht haben, „wer ist denn der Knabe da?“ Tja, herzlichen Glückwunsch…, Vati.
DAS muss Liebe sein… oder Blödheit
Springen wir noch mal achtzehn Jahre in die Zukunft: Tristan (Charlie Cox), so der Name des Jungen, den ihm seine Mutter noch flott mit auf den Weg gab, ist gerade volljährig… und Hals über Kopf in die schöne Victoria (Sienna Miller) verschossen. Diese lässt den naiv-blauäugigen Tristan, der nicht wirklich viel über seine wahre Herkunft weiß, aber am ausgestreckten Arm zappeln, ist sie doch eigentlich fest mit dem draufgängerischen und nicht minder eingebildeten Humphrey (Henry Cavill) liiert. Doch obwohl Tristan gesellschaftlich in ein bis zwei Ligen darunter spielt, lässt er sich nicht entmutigen, das Herz seiner Angebeteten zu erobern…

Zeitgleich liegt der König von Stormhold (Peter O’Toole) auf dem Sterbebett. Ein trauriger Tag… allerdings nicht für seine raffgierigen Söhne, die allesamt auf den Thron – und damit auf die Herrschaft über das magische Reich – schielen. Ein echter Spitzenhaufen, der vor Machtgier nicht mal vor Brudermord zurückschreckt. Hat sogar schon ein paarmal hingehauen, denn die bereits verblichenen Söhne des scheidenden Königs spuken noch fröhlich umher und kommentieren das Trauerspiel. Übrig sind noch – die Betonung liegt auf NOCH – Primus (Jason Flemyng), Septimus (Mark Strong), Secundus (Rupert Everett) und Tertius (Mark Heap). Ganz so einfach macht es der König seiner Brut aber nicht. Als letzte Tat schleudert er seine prächtige Halskette, in deren Anhänger ein stattlicher Rubin eingefasst ist, in den Nachthimmel. Derjenige, der den Rubin findet, soll ihm auf den Thron folgen. Keine Frage, dass die Sippe sofort Himmel und Hölle in Bewegung setzt.
An eben jenem Abend, nach reichlich Überredungskunst, lädt Tristan Victoria zu einem romantischen Picknick ein. Und er fährt ordentlich auf. Er gesteht ihr seine Liebe, beißt jedoch bei der bereits Versprochenen auf Granit. Der Klotz lässt sich erst erweichen, als Tristan Victoria anbietet, ihr wortwörtlich die Sterne vom Himmel zu holen. Eine Sternschnuppe erhellte just den Nachthimmel und schien jenseits der Mauer niederzugehen. Ja, diesen funkelnden Stern würde er ihr bringen, wenn er im Gegenzug Victorias Hand bekäme… (Trottel). Obgleich der Liebeskasperei, willigt die geschmeichelte Victoria ein. Eine Woche Zeit bekommt der Liebestrunkene… ansonsten knallt sie mit dem strammen Humphrey durch die Dörfer.
Deal!
Es stellt sich heraus, dass der gefallene Stern ironischerweise mit der Halskette des mittlerweile weggenippelten Königs kollidierte und eine stattliche Bruchlandung in den tiefsten Tiefen Stormholds hingelegt hat. Beide prallten auf den harten Boden der Tatsachen, wo der Stern nun eine menschliche Gestalt annimmt. In Form der schönen Yvaine (Claire Danes). Die Kette nimmt sie sogleich an sich, womit sie sich unbewusst die durchtriebene Königsbrut mit an den Hals hängt.

Tatsächlich gelingt es Tristan, den Stern ausfindig zu machen. Mithilfe einer magischen Kerze, die seine Mutter ihm mit ins Körbchen legte, kann er schwuppdiwupp zum Ort seiner Wünsche reisen. Keine Frage, dass Yvaine nicht zwingend begeistert davon ist, als Geschenk für irgendeine Braut in spe zu dienen, doch Tristan verspricht ihr den Rest der Kerze, damit sie wieder in den Nachthimmel aufsteigen kann. Aber erst, wenn er Victoria an der Angel hat!
Neben der königlichen Gurkentruppe hat die Zweckgemeinschaft aber noch eine weitere Verfolgerin. Die Hexe Lamia (Michelle Pfeiffer) hat sich magisch noch etwas in Schale geschmissen, um für sich und ihre beiden Schwestern die ewige Jugend zu erlangen. Die bekommt man, wenn man das Herz eines Sterns verspeist. Und dafür geht Lamia über Leichen!
Ein leider viel zu vernachlässigtes Genre
Die perfekte Fantasy-Abenteuer-Lovestory-Komödie! Ach was…, dieses Genre kennt Ihr nicht? Kein Wunder, denn solch einen Spagat sieht man äußerst selten. Am ehesten würde mir da der wunderschöne Klassiker „Die Braut des Prinzen“, basierend auf dem ebenfalls wunderschönen Roman „Die Brautprinzessin“ von William Goldman, einfallen. Dann wird es auch schon dunkel. Nach Peter Jacksons „Der Herr der Ringe/Hobbit“-Trilogien, dem „Harry Potter“-Franchise und „Game of Thrones“ schien rein Fantasy-technisch nicht mehr viel zu zünden, weshalb Hollywood wohl wenig Interesse hat, Kohle für ein Genre zu verbrennen, welches die Kassen nicht ordentlich klingeln lässt. Lieber noch ’ne „Star Wars“-Serie, weitere „Jurassic“-Ableger und noch mehr MARVEL-Krawumms. Verübeln kann man es den Geld-Geiern nicht, denn wirtschaftlich rechnet sich der Einheitsbrei (noch!). Und wenn man bedenkt, dass klassische Fantasy nicht nur Risikobereitschaft, sondern auch enorme Kosten für die Erschaffung phantastischer Welten voraussetzt, kann man – wenn auch zähneknirschend – nachvollziehen, dass den Produzenten die Brieftasche nicht so locker am Arsch sitzt. Schade, denn etwas Kreativität würden wir Genre-Freundinnen und -Freunde gerne mal wieder sehen.

Was war das für ein Wagnis, als DISNEY noch mutig mit dem „Fluch der Karibik“ (2003) voranpreschte! Ein komplett totgesagtes Feld, welches davor mit Renny Harlins „Die Piratenbraut“ (1995) schon krachend gescheitert war und ein ganzes Studio ruinierte. Dieser Mut zahlte sich bekanntlich gleich mehrfach aus, denn die bisherige Reihe aus fünf Filmen konnte weltweit mehr als 4,5 Milliarden US-Dollar einspielen. Und das bei einer Thematik, die auf einem Fahrgeschäft in Themenparks basierte! Vielleicht täte ein solcher Mut der Filmlandschaft mal wieder gut…, doch in Streaming-Zeiten hat das „große“ Kino es eh schwer. Zu verwöhnt sind wir Konsumenten von der Bequemlichkeit, Filme und Serien halbwegs aktuell (in manchen Fällen gar exklusiv) in den eigenen vier Wänden abrufen zu können. Da bleibt das gemeinschaftliche Seh-Erlebnis auf der Strecke. Dass Bombast-Streifen wie „Dune“ eigentlich nur auf der großen Leinwand optimal wirken können, fällt dann gerne mal hinten runter. Dafür gibt es einfach gestrickte Green-Screen-Produktionen mit angesagten Top-Verdienern, die zwar quer über dem Erdball spielen sollen, für die aber nicht einmal das Studio verlassen wurde. So werden eh schon seichte Handlungen weiter verwässert, indem uns die Protagonisten stets noch jeden Handgriff verbal erklären, damit wir beim Daddeln auf dem Smartphone überhaupt nicht mehr auf den TV-Bildschirm schauen müssen und dem Multi-Millionen-Dollar-Krampf dennoch bis zum Ende folgen können. Achtet mal drauf! Wohl auch ein Grund, weshalb viele Produktionen heutzutage „unfertig“ aussehen. Anders kann ich es mir nicht erklären, dass effektreiche Filme vor zehn bis fünfzehn Jahren zum Teil heute noch besser aussehen, als gerade erschienene Machwerke.

Das lässt mich passenderweise wieder den Haken zu „Der Sternwanderer“ schlagen, denn obwohl bereits achtzehn Jährchen auf dem Buckel, sieht die 65-Millionen-Dollar-Produktion (mit einem weltweiten Einspielergebnis von 137 Milliönchen) noch immer großartig aus! Die Sets sind üppig und detailreich, die Örtlichkeiten wechseln häufig und die Spezialeffekte haben ihren Zenit noch nicht überschritten. Davon abgesehen, ist die Star-Power, die dieses Vehikel mit sich bringt, bis in die Nebenrollen phänomenal. Allen voran Michelle Pfeiffer („Scarface“, „Die Hexen von Eastwick“, „Gefährliche Liebschaften“, „Batmans Rückkehr“, „Wolf“, „Schatten der Wahrheit“) und Robert De Niro („Der Pate - Teil II“, „Taxi Driver“, „Wie ein wilder Stier“, „Angel Heart“, „GoodFellas“, „Kap der Angst“, „Heat“, „Red Lights“, „The Irishman“), denen man die Spielfreude in jeder Szene anmerkt. Gerade De Niros Wechsel vom raubeinigen Piraten zur herrlich schrägen Drama-Queen zeigt seine ungeheure Bandbreite.
Auch die Hauptfiguren sind ideal besetzt. Als leicht naiven Tristan sehen wir Charlie Cox, den wir heute besser als blinden Anwalt Matt Murdock in „Daredevil“ bzw. „Daredevil: Born Again“ kennen. „Der Sternwanderer“ war die erste große Hauptrolle für den Briten. An seiner Seite überzeugt Claire Danes als gefallener Stern Yvaine. Danes erlangte 1996 großen Erfolg mit Baz Luhrmanns „Romeo + Julia“. Es folgten Rollen in „Der Regenmacher“, „Les Misérables“, „The Hours“ und „Terminator 3 - Rebellion der Maschinen“. Im TV war sie jahrelang in der Serie „Homeland“ präsent.

Regisseur Matthew Vaughn, der zuvor lediglich den Gangsterfilm „Layer Cake“ mit Daniel Craig inszenierte, wagte sich mit seinem zweiten Spielfilm an die Adaption einer Vorlage von Neil Gaiman („Sandman“, „Coraline“, „American Gods“). 2024 wurden schwere Anschuldigungen wegen sexuellen Fehlverhaltens gegenüber dem britischen Erfolgsautor laut, was deutliche Spuren hinterließ und ihn aktuell zum roten Tuch in der Branche macht. Viele Fans und auch Studios gehen seitdem auf Abstand. Das hinterlässt einen äußerst bitteren Beigeschmack. Ob man Autor und Werk nun voneinander trennen kann, muss jeder für sich entscheiden. Vaughn jedenfalls hat mit seiner Verfilmung von „Stardust“, wie „Der Sternwanderer“ im Original heißt, voll abgeliefert. Eine beeindruckende Visitenkarte für weitere effektreiche Filme wie „Kick-Ass“, „X-Men: Erste Entscheidung“ oder die drei Filme der „Kingsman“-Reihe, die allesamt einen Comic-Hintergrund haben.
Neuer Glanz
Zur UHD-Premiere hat PARAMOUNT den Film von 2007 mit viel Liebe zum Detail in die Gegenwart geholt. Das 4K-Bild kommt scharf rüber und zeigt keinerlei Unreinheiten. Nur in wenigen Fällen stechen die Spezialeffekte heraus und lassen sich eindeutig als solche erkennen. Ansonsten wirkt alles aus einem Guss. Zusammen mit der bereits bekannten Blu-ray sind die beiden Discs in einem schön gestalteten Hochglanz-Steelbook untergebracht. Design und Innendruck wissen zu gefallen. Als kleines i-Tüpfelchen finden noch fünf Sammelkarten in Postkarten-Größe Platz, die – versehen mit Infos – die Charaktere Yvaine, Tristan, Lamia, Captain Shakespeare und Ferdy, den Hehler (im Film gespielt von Ricky Gervais) abbilden. Die Karten sind aus festem Karton und machen mit ihrem lila/goldenem Folien-Finish optisch was her.

Das Bonusmaterial zum Film – zu finden auf der Blu-ray – besteht aus einem Audiokommentar mit Matthew Vaughn & Jane Goldman (Co-Autorin des Drehbuchs), dem Making-of Über die Mauer, Nichts ist wahr – Hinter den Kulissen mit Neil Gaiman & Charles Vess (Illustrator der 1999 erstveröffentlichten Roman-Vorlage), einem Blooper-Reel, entfernten Szenen und dem Kino-Trailer. Die UHD-Scheibe ist allein dem Hauptfilm vorbehalten. Eine normale Keep-Case-Variante soll von PARAMOUNT ebenfalls erscheinen, ist zum jetzigen Zeitpunkt (April 2025) aber noch nicht genau terminiert.
Fazit
2025 scheint ein gutes Jahr, um diese Fantasy-Perle entweder neu zu entdecken, oder sie gar zum ersten Mal zu erleben. Aus zweierlei Gründen: Zum einen ist sie erstaunlich gut gealtert und sah so frisch aufpoliert nie schöner aus. Zum anderen täten uns allen zwei Stunden Auszeit von dem hektischen Treiben außerhalb der eigenen vier Wände unumstritten gut. Wem beim Blick in die Nachrichten schwindelig wird, bekommt mit „Der Sternwanderer“ einen märchenhaften Kurzurlaub spendiert, der humorvoll und leichtfüßig mit einer tollen Geschichte, charmanten Charakteren und richtig viel Herz unterhält.

Wertung: 9
Bilder: © Paramount
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