The Substance

Film-Besprechung von Michael Drewniok

Eigentlich glaubte sich Elisabeth Sparkle in ihrer Nische geborgen: Nachdem der Schauspielerruhm in Film und Fernsehen abgeklungen war, konnte sie sich eine Sendung sichern, in der sie Frauen fortgeschrittenen Alters vorturnend zeigt, wie sie sich jene Körpermaße antrainieren und bewahren, die im zeitgenössischen Hollywood als ideal gelten. Die Zuschauerquote ist stabil, und so könnte sich Elisabeth sogar mit ihrem 50. Geburtstag anfreunden, hätte sie nicht zufällig ein Telefonat des Sendeleiters Harvey belauscht: Er will sie feuern bzw. gegen eine deutlich jüngere Frau austauschen!

So geschieht es. In ihrer Not erinnert sich Elisabeth an eine seltsame Botschaft, die ihr kürzlich zugespielt wurde: Man bietet ihr „The Substance“ an, ein Mittel, das angeblich ihr Problem lösen wird! Ratlos lässt sie sich darauf ein und erhält ein ‚Starterkit‘, dessen Einsatz eine jüngere, ‚makellose‘ Version von Elisabeth aus ihrem Rücken bersten lässt. Von nun an teilen sich die beiden Frauen ein Leben. Sieben Tage ist Elisabeth präsent, dann ‚erwacht‘ die junge „Sue“, die voller Lebensgier die Stelle ihrer Matrix-‚Mutter‘ einnimmt, sich in deren Sender vorstellt und die Turn-Sendung übernimmt.

Die Quoten schießen durch die Decke, und Sue reichen ihre sieben Tage nicht mehr. Aber auch Elisabeth ist unzufrieden, denn sie verbringt ihre Woche in der Wohnung und langweilt sich. Außerdem wird Sue gierig, zumal sie herausfindet, dass sie ihre Frist verlängern kann, wenn sie Elisabeth mehr als die vorgesehene Dosis der Leben und Jugendlichkeit konservierenden Körperflüssigkeit entnimmt. Der Raubbau lässt Elisabeth in Rekordtempo altern. Das Drama nimmt seinen Lauf: Elisabeth hasst Sue für ihre Rücksichtslosigkeit, und Sue hasst ihre ‚Mutter‘, die ihr Lebens- und Karrierezeit nimmt. Ein Krieg bricht aus, der ‚beide‘ Frauen grausig daran erinnert, dass sie eine Person sind und jede Aktion - oder Reaktion - auf ‚beide‘ zurückschlägt ...

Der (Alb-) Traum ewiger Jugend

Mit „The Substance“, ihrem zweiten Langfilm, ist der französischen Regisseurin und Drehbuchautorin Coralie Fargeat ein echter Paukenschlag gelungen. Sowohl Kritiker als auch Zuschauer sind mehrheitlich begeistert von diesem Werk, das sich der Mittel des klassischen Horrors ebenso bedient wie der des Splatters, aber den Schrecken gleichzeitig satirisch auf die Spitze (und darüber hinaus) treibt.

Zum meisterlichen Einsatz filmischer Mittel kommt ein Drehbuch mit Botschaft, das die aufgeheizte Diskussion um die Position der Frau in der modernen Gesellschaft thematisiert. Elisabeth Sparkle ist das Opfer einer ungeachtet „#metoo“ & Co. weiterhin ungerechten, oberflächlichen (Medien-) Gesellschaft, in der die Träger der XX-Chromosomen zwecks Akzeptanz einen jugendlichen = straffen Körper vorhalten müssen. Sie wurde gerade 50 Jahre alt und (auch dank offensichtlicher chirurgischer Nachhilfe) in körperlichen Hochform. Das hilft Elisabeth nicht davor ausrangiert zu werden - von einem Mann, der nicht nur dumm und skrupellos ist, sondern auch keinerlei Rücksicht auf den eigenen Körper nimmt und nehmen muss, denn er sitzt unabhängig davon fest im Sattel; kein Wunder, wenn man sich den Chor der alten, hässlichen Kerle anschaut, die uniform und anonym in schwarze Geschäftsanzüge gekleidet als „Aktionäre“ des Senders auftreten.

Eigentlich müsste sich Elisabeth geschlagen geben. Offiziell tut sie das auch. Da hat sie allerdings schon einen ‚Seitenweg‘ beschritten. „The Substance“ jagt ihr eine Höllenangst ein, denn der Einsatz ist schmerzhaft und hat drastische Folgen. Doch die Furcht vor dem Absturz sorgt im Bund mit einer Erfolgsgier, die sich mit derjenigen des Senderleiters messen kann, für ein Einknicken, das bereits in der Story angelegt und begründet war: Elisabeth (und erst recht Sue) sind keine ‚sympathischen‘ Opfer. Sie reihen sich willig in das Verschleißspiel der Unterhaltungsindustrie ein, statt sich gegen deren Regeln zu wehren; womöglich wären sie aufgrund ihrer lebenslangen Fixierung gar nicht dazu in der Lage.

Aufgabe bis zum Selbsthass

Tatsächlich ist Elisabeth ihr ärgster Feind. Als die laszive Sue aus ihr schlüpft, wird deutlich, welche Frau die junge Elisabeth gewesen bzw. geworden sein muss: manipulativ, gierig, rücksichtslos. Coralie Fargeat lässt Demi Moore und Margaret Qualley eine Figur darstellen, die sich selbst hasst: Sue will ihre Jugend und die daraus resultierende Macht auskosten und raubt ihrer ‚Mutter‘ unbarmherzig deren Lebensenergie. Elisabeth fühlt sich doppelt betrogen: Einerseits muss sie ‚ihre‘ sieben Tage tatenlos in ihrem Appartement ausharren, andererseits verwandelt sie sich durch Sues Attacken in eine schauerlich anzuschauende, leichenhafte Hexe.

Dennoch schreckt sie entscheidenden Moment davor zurück, sich Sues zu entledigen. Der anstehende Auftritt in einer kontinentweit gesendeten Show wäre auch für Elisabeth der Erfolg. Nur in diesem Punkt scheint sie zu begreifen, dass sie und Sue ein und dieselbe Person ist. Für den Abbruch der in Gang gesetzten Terminierung ihres Klons wird Elisabeth jedoch nicht belohnt. Der (Selbst-) Hass ihres Alter Egos setzt jenen Prozess in Gang, der in Sues Ende und im Auftritt der grotesken „MonstroElisaSue“ gipfelt.

Fargeat fand für die doppelte Hauptrolle eine ideale Besetzung. Als Sue ist Margaret Qualley (eine Tochter der Schauspielerin Andie MacDowell) ebenso hübsch wie hässlich in ihrer Konsequenz, einen bereits gegangenen Weg ungeachtet der erfahrenen Demütigungen noch einmal einzuschlagen. Die schöne Frau fügt ihrer ‚Mutter‘ unerhörtes Leid zu, was ihr kaum Probleme bereitet. Sue geht über Leichen - und das stellt sie auch unter Beweis.

Wagnis und Triumph

Nichtsdestotrotz ist „The Substance“ das Filmvehikel für Demi Moore. Sie hält sich seit Jahrzehnten in Hollywood; mal kann sie als Schauspielerin punkten, aber oft musste sie sich mit „Gossip“ über Wasser und im Gespräch halten - als (Ex-) Gattin von Bruce Willis und deutlich ältere Gefährtin von Ashton Kutcher, als medikamentensüchtiger „Ex-Star“ und vor allem als Arbeitsfläche schier unzähliger Hautstraffungen, Fettabsaugungen u. ä. Prozeduren: Demi Moore gilt als Paradebeispiel für eine prominente Frau, die sich dem Diktat verkrusteter Schönheitsideale beugt, was für Fargeat eine Steilvorlage bedeutete. Darüber hinaus erkannte sie, was Hollywood und die Klatschpresse gern ausblenden: Demi Moore kann schauspielern.

Das stellt sie hier mit einer Konsequenz unter Beweis, der sich die Kritik nicht entziehen konnte. Die eben doch gealterte Moore steht oft nackt vor der Kamera, was im Rahmen dieser Geschichte keine spekulative Zurschaustellung darstellt, sondern den Körperkult der von ihr gelebten Medienwelt eindrucksvoll und unbehaglich konterkariert.

Die Männer kommen in „The Substance“ durchweg schlecht weg. Sie sind sämtlich auf „sexy Frauen“ geeicht, denen sie pubertär und lächerlich hinterhergeiern. An ihrer Spitze steht Senderchef Harvey, für dessen Darstellung Dennis Quaid ein Sonderlob gebührt; er wurde jedoch in diesem ‚feministischen‘ Manifest an den Rand der Aufmerksamkeit gespült. Das ist schade und unverdient, spiegelt aber wider, wie „The Substance“ interpretativ von Interessengruppen gekapert wurde. Das Ergebnis ist eine Einseitigkeit, die der tatsächlich vorhandenen, von Fargeat jedoch nicht auf die extern behauptete Spitze getriebenen Gesellschaftskritik geschuldet sein soll.

Tour de Force in Bild und Ton

Jenseits des Manifestes sowie überhaupt spinnt Fargeat mit „The Substance“ ein großartiges Horrorgarn. Sie hat keinerlei Probleme damit, die Instrumente dieses Genres einzusetzen. Blut, Gewalt und Grauen werden nicht angedeutet, sondern ausgespielt. Dass der grundsätzliche Ton dieser Geschichte nicht nur düster, sondern auch schwarzhumorig ist, tut dem keinen Abbruch. Faktisch sorgen die spektakulären Effekte dafür, dass die ganz eigene Dynamik dieses Schauerstücks nie abbricht. Außerdem ergänzen sich Horror bzw. Tragik und Humor seit jeher erstaunlich harmonisch, wird das Zusammenspiel beherrscht.

Blut und andere Körperflüssigkeiten kommen reichlich zum Einsatz, aber auch das Fleisch wird auf mögliche und unmögliche Weisen malträtiert. Fargeat legte großen Wert auf Unmittelbarkeit. Auf digitale Effekte wurde deshalb so weit wie möglich verzichtet. Stattdessen kamen ganz klassisch „Prostetics“ - elektronisch oder von ‚maskierten‘ Darstellern bewegte, lebensgroße Nachbildungen -  zum Einsatz. Auch in diesem Punkt beharrte Fargeat auf Stringenz, was u. a. dazu führte, dass Demi Moore für ihre Ganzkörpermaske im letzten Drittel des Films sieben oder mehr Stunden in der Maske verbrachte, bevor der eigentliche Dreh überhaupt begann. Die Spitze setzt dem die von mehreren Darstellern ‚besetzte‘ Prothese der MonstroElisaSue auf, die von ‚innen‘ und ‚außen‘ gesteuert werden musste (und für einen Blutschauer-Exzess sorgt, der selbst den bisherigen Rekordhalter - Peter Jacksons „Braindead“ von 1992 - in den Schatten stellen dürfte).

Fargeat knüpft an Klassiker des „Body Horrors“ an, der den Zerfall oder die Veränderung des menschlichen Körpers in den Mittelpunkt stellt. Hier hat sich vor allem David Cronenberg einen Namen gemacht. Seine Werke und hier vor allem „The Fly“ (dt. „Die Fliege“, 1986), aber auch „Videodrome“ (1983) oder „eXistenZ“ (1999) zitiert die Regisseurin mehrfach. Mit  MonstroElisaSue ehrt Fargeat David Lynch für dessen Film „The Elephant Man“ (dt. „Der Elefantenmensch“, 1980).

Bis ins Detail überzeugen auch die übrigen Effektträger. Die Kulissen strahlen eine kostspielige Kälte bzw. Geschmacklosigkeit aus, die für heftige Schauer sorgt. Jedes Stück hat seinen stimmungsfördernden Platz in diesen Arrangements, wobei die Leere der Räumlichkeiten auch das verkümmerte Wesen der Bewohner abbildet. Bemerkenswert ist darüber hinaus der Score von Raffertie (= Benjamin Stefanski), der für elektronische und experimentelle Musik bekannt ist und hier für eine wuchtige bis brutale Untermalung sorgt.

Fazit

Ungeachtet des Hypes, der um diesen Film entfacht wurde, beeindruckt „The Substance“ mit einer nicht unbedingt neuen, aber originell variierten, kongenial andeutungsfrei in Szene gesetzten und ausgezeichnet besetzten Schauer-Story, deren Wucht über Logiklöcher und Ungereimtheiten hinwegträgt.

Wertung: 9

Bilder: © Universal Studios

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