Lloronas Fluch
Film-Kritik von Michael Drewniok

Trauernde Frau in einem Film zum Heulen

1673 rächt eine stolze mexikanische Frau den Seitensprung ihres Gatten, indem sie die beiden gemeinsamen Söhne ertränkt. Als ihr bewusst wird, was sie getan hat, begeht sie Selbstmord. Durch die böse Tat ist sie verflucht: Als „La Llorona“, „die Weinende“, wird sie ein gefürchtetes Mitglied der Geisterwelt. Immer wieder erscheint Llorona, um Kinder zu entführen, um sie anschließend zu ertränken.

300 Jahre später hat Llorona ihren Wirkungsbereich erweitert. Aktuell spukt sie in Los Angeles, wo sie es auf die beiden Söhne von Patricia Alvarez abgesehen hat. Patricia steht unter behördlicher Aufsicht. Von Amtswegen glaubt man nicht an Geister, weshalb Anna Tate-Garcia, die zuständige Betreuerin, die Kinder aus einem Versteck zieht und in ein Waisenhaus bringt.

Kurz darauf sind sie tot; Llorona hat sie geholt, und die wütende Patricia rächt sich, indem sie den Geist davon informiert, dass Anna selbst zwei Kinder hat, die sie nach dem Tod ihres Mannes allein aufziehen muss. Diesen Hinweis greift Llorona gern auf und beginnt Chris und seine Schwester Samantha heimzusuchen. Sie ist erfolgsorientiert und keineswegs zurückhaltend, weshalb auch Mutter Anna rasch Bescheid weiß.

Diverse Attacken können so eben abgewehrt werden, doch Llorona verstärkt ihre Bemühungen. An die Polizei kann sich Anna nicht wenden. Die Kirche zeigt zwar Verständnis - Pater Perez erinnert sich gut an eine dämonisch besessene Puppe namens Annabelle, die ihn schwer geprüft hat -, doch Gottes Mühlen setzen sich nur langsam in Bewegung. Perez verweist Anna deshalb an den Ex-Priester und jetzigen Geister-Austreiber Rafael Olvera, der tatsächlich den Kampf gegen Llorona aufnimmt. In einer dunklen, stürmischen, regnerischen Nacht kommt es im Haus der Garcias zum Endkampf mit Llorona …

Homöopathie-Grusel für allzu Schreckhafte

Ausgerechnet James Wan, der 2004 mit „Saw“ ein Folter-Blutbad der fortsetzungsreichen Art einließ, stieß 2010 auf eine filmisch und finanziell noch ergiebigere Goldader: „Insidious“, ein kostengünstig produzierter, formal solider, inhaltlich simpler und vor allem splatterfreier Gruselfilm der eher klassischen Art, traf den Nerv eines Massenpublikums, das sich zwar erschrecken lassen will, ohne sich dabei jedoch wirklich fürchten zu müssen.

Was seltsam klingt, ist das Fundament der modernen Unterhaltungsindustrie, deren Nutzer sich feierabendlich mehrheitlich berieseln, aber nicht wirklich aus dem Konzept bringen lassen wollen. Für sie wurde Wan als Regisseur, Drehbuchautor und/oder Produzent zum zuverlässigen Lieferanten jener austauschbaren Ware, die genau das, aber nicht mehr bot. „Insidious“ ging in Serie, 2013 startete Wan mit dem gleichnamigen Film das „Conjuring“-Franchise, in dem „Lloronas Fluch“ den sechsten Beitrag darstellt. Die Filme sind handwerklich sauber gefertigt, dabei kostengünstig und spielen meist neunstellige Geldsummen ein: Für Hollywood stellt sich die Frage nach Sinn oder Unsinn solcher Produktionen nicht.

Dagegen wundert sich der (nicht einmal besonders) anspruchsvolle Horror-Fan. „Lloronas Fluch“ ist das perfekte Beispiel eines gänzlich überflüssigen (Grusel-) Films, der in keiner Sekunde etwas bieten kann, das man nicht schon x-fach und oft besser gesehen hat. Schon das Konzept ist Hirnschmalkost: Llorona ist hier nie der symbolstark aufgeladene mittel- und südamerikanische Mythos, sondern nur ein beliebiger Hollywood-Buh!-Schrecken.

Das Böse ist eher blöde

Schon Lloronas Erscheinung ist banaler Geisterbahn-Horror: Fetzenkleid, Moderfinger, Fratzengesicht - fertig ist ein Phantom, das die Zuschauer nur deshalb zusammenzucken lässt, weil es das Drehbuch aus immer neuen Ecken und Winkeln (und einmal sogar von der Decke) springen lässt. Natürlich erschrickt man, wenn aus dem Off etwas ins Bild springt. Diesen Trick kann man ebenso faul erweitern, indem man gleichzeitig die Musiklautstärke aufdreht, was hier fleißig beherzigt wird.

„Jumpscares“ sind statthaft, doch kein Film sollte sich ausschließlich auf sie verlassen, wenn es darum geht, Angst und Schrecken zu säen. Ohnehin ist der Effekt schnell und dann endgültig verpufft, was dem mäßig gefesselten Publikum Drehbuchlücken offenbart, durch die auch größte Öltanker problemlos kämen. Zwei Autoren haben sich wahrlich nicht mit Ruhm bekleckert, sondern einen Geist kreiert, der weniger durch seine Übeltaten als durch planloses Umherstolpern auffällt.

Wie oft attackiert Llorona Anna, Chris und Samantha und lässt sie sich doch wieder durch die Klauen schlüpfen? Llorona kann durch Wände gehen, fliegen, aus Wasserpfützen springen und ist so stark, dass sie einen nicht gerade leichtgewichtigen Zeitgenossen wie den Exorzisten Olvera im hohen Bogen durch die Luft schleudern und gegen Wände schmettern kann. Warum hat sie solche Mühen mit ihren eigentlichen Opfern, die zudem nicht durch besondere Flucht-Findigkeit auffallen?

Heldentum als Versehen

Überhaupt ist die Figurenzeichnung das wahre Grauen dieses Films. Den durchaus tauglichen Darstellern bleibt durchweg keine Chance, gegen das flachsinnige Drehbuch anzuspielen. Es bleiben nur Klischees: überforderte Löwenmutter, nette Kinder (die nie den Mund aufmachen, wenn ihnen Llorona gerade zugesetzt hat), unkonventioneller Ghostbuster (immer in Eile allerlei Exorzisten-Werkzeug in seine Taschen schiebend und horchend ins Leere starrend, statt nur einmal zu erklären, was er da treibt), notorisch ungläubige Kollegen/Freunde … Dass dies zu einer Handlung passt, die man nach wenigen Minuten in ihren ‚Wendungen‘ vorhersagen kann, ist kein Trost, sondern reiht sich in die schier endlose Liste der Schlampig- und Dreistigkeiten ein:

- Wieso spielt diese Geschichte 1973? Es wird kein Grund dafür genannt. Die ‚Kulissen‘ beschränken sich auf einige am Straßenrand abgestellte Autos. Anna trägt zwar Jeans mit enormen Schlägen, doch ansonsten passen nicht einmal die Frisuren in das genannte Jahr. Auch zeitgenössische Musik bleibt - wohl aus lizenzrechtlichen und Kostengründen - außen vor.

- Der Gatte/Vater ist tot, die Familie trauert, doch einmal mehr bringt das für diese Geschichte außer einigem Tränendrüsendrücken nichts.
- Wie kann sich eine Witwe in unterbezahlter Stellung ein dermaßen großes Haus samt olympiatauglichem Swimmingpool leisten?
- Warum wird Lloronas Medaillon mehrfach herausgestellt und seine angebliche Bedeutung erwähnt, obwohl sein Einsatz dann völlig wirkungslos ist?
- Aus welchem Grund werden Figuren wie Detective Cooper oder Kollegin Donna eingeführt, um sie irgendwann aus dem Geschehen zu streichen?
- Warum muss Patricia Alvarez als dea ex machina Llorona Einlass ins Garcia-Haus verschaffen, wo dessen magischer Schutz bereits durch Samantha durchbrochen wurde?

Das ist eine willkürliche Auswahl, die sich quasi ins Unendliche verlängern ließe. Erträglich wird die dröge Munkelei nur aufgrund ihrer professionellen Präsentation. Kameramann Michael Burgess hat sich bemüht, die Orte des vom Regisseur nach Schema F inszenierten Geschehens einfallsreich aufzunehmen. Die Kamera ist sehr beweglich, und sie weiß die oftmals nur kümmerliche Beleuchtung oder ihr gänzliches Fehlen effektvoll aufzugreifen. Die Spezialeffekte halten sich in Grenzen, sind aber makellos dort, wo man nicht allzu aufdringlich auf sie gestoßen wird; so bietet Lloronas finales Ende einen eher kläglichen (aber CGI-reichen) Anblick.

Über kleine Gunstbezeugungen ist man angesichts solcher Bockschüsse als Zuschauer dankbar. So glänzen die das „Conjuring“-Universum heimsuchenden Geisterjäger (und Dummschwätzer) Ed und Lorraine Warren durch Abwesenheit. Sie werden durch Pater Perez vertreten, den wir in einer Rückblende mit der bösen Puppe Annabelle sehen - eine für die Handlung überflüssige, dreist das Franchise bedienende Episode. Wenn der Spuk vorbei ist, folgt für die Zuschauer das böse Erwachen: Sie haben anderthalb Stunden Lebenszeit verloren - und damit dürfte sich La Lloronas wahrer Fluch erfüllt haben …

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Lloronas Fluch

  • Originaltitel: The Curse of La Llorona (USA 2018)

  • Regie: Michael Chaves

  • Drehbuch: Mikki Daughtry u. Tobias Iaconis

  • Kamera: Michael Burgess

  • Schnitt: Peter Gvozdas

  • Musik: Joseph Bishara

  • Darsteller: Linda Cardellini (Anna Tate-Garcia), Roman Christou (Chris Garcia), Jaynee-Lynne Kinchen (Samantha Garcia), Raymond Cruz (Rafael Olvera), Patricia Velásquez (Patricia Alvarez), Sean Patrick Thomas (Detective Cooper), Tony Amendola (Pater Perez), Irene Keng (Donna), Oliver Alexander (Carlos Alvarez), Aiden Lewandowski (Tomas Alvarez), Marisol Ramirez (La Llorona) u. a.

  • Label/Vertrieb: Warner Bros. Entertainment

  • Erscheinungsdatum: 05.09.2019

  • Bildformat: 16 : 9 (2,39 : 1, anamorph)

  • Audio: Dolby Digital 5.1 (Deutsch, Englisch, Spanisch) [DVD]/ Dolby Digital 5.1 (Deutsch, Französisch, Italienisch, Spanisch, Japanisch), Dolby Atmos/TrueHD 7.1 (Englisch) [Blu-ray]

  • Untertitel: Deutsch u. Englisch (für Hörgeschädigte), Dänisch, Finnisch, Norwegisch, Schwedisch, Spanisch [DVD]; Blu-ray zusätzlich: Italienisch (für Hörgeschädigte), Französisch, Griechisch, Japanisch, Niederländisch

  • Länge: 90 min. (DVD)/93 min. (Blu-ray)

  • FSK: 16

  • Features (nur auf Blu-ray)

    - Die Entstehung eines Filmmonsters (5:39 Min.)*
    - Die Legende von La Llorona (2:29 Min.)
    - Hinter Lloronas Fluch (9:43 Min.)
    - 6 nicht verwendete Szenen (11:10 Min.)
    - 7 Storyboards (17:32 Min.)

    * Auch auf DVD

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