100 Jahre verlorene Welt

von Michael Drewniok

Vor 100 Jahren erstmals im Kino: „Die verlorene Welt“

Das Jahrhundert der tobenden Saurier

Nachdem bisher sechsmal wiederbelebte Kino-Saurier aus dem „Jurassic Park“ ausgerückt sind, um Furcht (wenn sie leibhaftig vor dir stehen) und Faszination (wenn eine Leinwand oder ein Bildschirm dich von ihnen trennt) zu verbreiten - die nächste Generation steht für 2025 in den Startlöchern -, ist der Zeitpunkt für einen Blick zurück in eine spezielle Nische der Filmgeschichte gekommen; dies auch deshalb, weil „The Lost World“, der Film, auf den sich das „Jurassic-Park“- bzw. „Jurassic-World“-Franchise stützt, vor genau 100 Jahren ins Kino gekommen ist.

Dieses Werk war der Vorreiter jenes Genres, das Menschen mit Monstern konfrontiert, denn nicht etwa „King Kong“ (1933, dt. „King Kong und die weiße Frau“) steht am Anfang dieser langen Reihe. Er blieb jedoch der Meilenstein dieses Kinos, weil er zu eindrucksvollen Bildern und einer anrührenden Story den Ton addieren konnte: Schreie und Schüsse bilden einen stimmungsfördernden Klangkörper, wenn kleine Menschen vor großen Bestien flüchten.

1925 stellte die Produktion eines mit Trickeffekten gespickten Films eine weitaus größere Herausforderung dar als acht Jahre später. Es gab kaum Erfahrungsvorbilder, auf die man hätte zurückgreifen können. Alles musste neu erfunden, ausprobiert, notfalls verworfen oder weiterentwickelt werden. Dies sorgte für eine sehr lange und riskante Produktionsphase, denn es dauerte, bis sich die Investitionen auszahlten - hoffentlich, denn niemand konnte garantieren, dass es ein Publikum für ein solches Spektakel gab!

Wie üblich gibt es eine Vorgeschichte

Die Werbeabteilung behauptete später, dass „Die verlorene Welt“ das Ergebnis von „sieben Jahren harter Arbeit“ sei. Tatsächlich waren es ‚nur‘ drei Jahre, wenn man die endlosen Irrungen und Wirrungen ignoriert, die den Dreharbeiten vorausgingen. Dass man es überhaupt wagte, lag am Potenzial des Buches, das dem Film als Grundlage diente. Arthur Conan Doyle (1859-1930) kennt man heute vor allem oder sogar nur als Schöpfer von Sherlock Holmes und Dr. Watson. 

Der Krimi verdankte Doyle viel, und das spiegelte sich in den Verkaufszahlen seiner Romane und Kurzgeschichten wider. Schon zu Lebzeiten wurde Doyle vor allem für Holmes & Watson gerühmt, was ihn ärgerte, obwohl es ihn zu einem reichen Mann machte: Sein schriftstellerisches Spektrum war weitaus breiter, doch obwohl er viel Schweiß beispielsweise in seine historischen Romane fließen ließ und diese wesentlich höher einschätzte als seine Detektivstorys, wurde dieser Teil seines Werkes höchstens höflich beachtet.

Seine zahlreichen phantastischen Titel wurden fleißiger gelesen. Doyle hinterließ auch im Horror oder in der Science Fiction seine Spuren. 1912 gelang ihm jenes Werk, das seinen Namen auch außerhalb des Krimis berühmt machte. „The Lost World“ - zunächst in Fortsetzungen erschienen im Magazin „The Strand“, das auch die Sherlock-Holmes-Geschichten erstabdruckte - mischte den historisierenden, dramatisch-mythisch aufgeladenen Abenteuerroman à la Henry Rider Haggard (1856-1925) oder Edgar Rice Burroughs (1875-1950) mit Fantasy-Elementen. Als Schauplatz diente gern eine in der Zeit ‚erstarrte‘ Zivilisation inmitten einer Wildnis - eine „lost world“ mit längst vergessenen Gesetzen und Regeln, in die Besucher von ‚draußen‘ mit meist verderblichen Folgen eindrangen.

Haggard arbeitete mit übernatürlichen Elementen und setzte 1886 mit der unsterblichen Schönheit Ayescha eine Figur in die (trivial-) literarische Welt, die ebenfalls zum modernen Mythos wurde („She. A History of Adventure“/„Sie“). Doyle ging einen Schritt weiter und fügte seiner verlorenen Welt die Bewohner einer Urzeit hinzu, die den Zeitgenossen ebenso am Herz lagen wie uns, den Nachfahren: Dinosaurier und Affen- oder Höhlenmenschen. Dass diese sich in der prähistorischen Realität niemals begegnet waren, konnte unter den Tisch fallen, denn Doyle postulierte eine topografische und ökologische Nische, in denen sie sich doch über den Weg liefen.

„The Lost World“ wurde ein Bestseller, immer wieder aufgelegt und erschien auch in andere Sprachen. (Die deutsche Erstausgabe kam 1926 und nicht zufällig zeitgleich mit dem Kinofilm in den Buchhandel.) Natürlich erregte die ebenso simple wie mitreißende Story das Interesse der Filmwelt. Doyle kassierte 1919 500 Dollar für die Preisgabe seiner Filmrechte. Doch das Projekt kam nie zustande. Man schreckte vor der technischen Herausforderung zurück: Wie konnte es gelingen, längst ausgestorbene Wesen überzeugend auf der Leinwand agieren zu lassen?

Nicht die Gegenüberstellung selbst war das Problem. Schon um die Jahrhundertwende hatte man ein Verfahren entwickelt, separat gefilmte Schauspieler in eine künstliche Miniaturkulisse ‚einzuspiegeln‘. Wenn diese die ‚Grenzen‘ ihrer Kulisse nicht überschritten, entstand eine glaubhafte Illusion. In Deutschland entwickelte Eugen Schüfftan (1886-1977) das Verfahren weiter, und diese Entwicklung floss auch in die Effekte der „Verlorenen Welt“ ein.

Das Problem blieben die Saurier. Es dauerte eine Weile, bis es gelöst werden konnte, obwohl die notwendigen Spezialeffekte grundsätzlich bekannt waren. In den USA hatte David Wark Griffith (1875-1948) im Kurzfilm „Man’s Genesis“ schon 1912 Höhlenmenschen vor einem Tyrannosaurier zittern lassen. (Der Film wurde 1914 überarbeitet und kam als „Brute Force“ bzw. „Primitive Man“ erneut ins Kino.)

Willis O’Brien (1886-1962) hatte sich seit Jahren intensiv mit dem Thema beschäftigt. Er wusste, dass die „Stop-Motion“-Technik der Schlüssel war. Allerdings war das Verfahren kompliziert und zeitaufwändig: Film sorgt durch 24 Einzelbilder pro Sekunde für die Illusion von Bewegung. Um dies mit zwar naturgetreuen, aber winzigen Monster-Modellen nachzuahmen, muss man sie künstlich animieren - 24-mal pro Sekunde, um eine möglichst gleitende Bewegung zu simulieren. Da jedes Lebewesen sich gleichzeitig mehrfach bewegt, müssen auch diese Veränderungen aufgegriffen werden. Je vielfältiger die Aktionen, desto komplexer die Animation.

O’Brien konstruierte ein mit zahlreichen Gelenken versehenes Stahlskelett, das er mit einer festen, aber flexiblen Gummimischung und einer Latexschicht überzog. Dies simulierte Knochen, Fleisch und Haut des jeweiligen Urzeitbewohners und hielt der mechanischen Beanspruchung stand, die es bedeutete, 24-mal pro Filmsekunde in eine neue Position gebogen zu werden. 1915 konnte O’Brien mit dem Kurzfilm „The Dinosaurier and the Missing Link“ beweisen, dass sein Verfahren funktionierte. In den nächsten Jahren stellte er weitere Kurzfilme her. Die Produktion eines Spielfilms war jedoch eine Herausforderung. Hier musste mehr geboten werden, um eine breite Leinwand überzeugend mit urzeitlichem Leben zu füllen! O’Brien traute sich die Aufgabe zu.

1918 realisierte er den längeren Kurzfilm „The Ghost of Slumber Mountain“. Der enorme Kassenerfolg überzeugte die erst im Vorjahr gegründete und im kalifornischen Burbank ansässige Produktions- und Vertriebsgesellschaft „First National Pictures“. Sie finanzierte „The Lost World“ (und 49 leider längst zerfallene Gummi-Saurier).

Die dritte Stütze der Illusion waren die „matte paintings“: Jene Bereiche der Landschaft, die nur in der Fantasie existieren sollten, wurden möglichst naturgetreu auf Leinwand oder Glas gemalt und der Kameralinse so vorgesetzt, dass sie die reale Situation verdeckten sowie ebenso scharf wie der verbleibende Echt-Hintergrund aufgenommen wurden. Sehr deutlich wird dieser Effekt, wenn die Expedition vor dem tatsächlich nichtexistierenden Plateau steht und auf einen atemberaubenden, ebenfalls getricksten Spalt blickt, der es von der einzigen Aufstiegsroute trennt. Matte-Paintings konnten durch Feuer- und Raucheffekte ‚belebt‘ werden, was während eines Vulkanausbruchs auf dem Plateau genutzt wird.

Der lange, harte Weg zum Publikum

Bevor Doyles Roman auf die Leinwand kam, musste er für das Kino aufbereitet und verändert werden. Dies übernahm Marion Fairfax (1875-1970), denn zumindest im frühen Kino waren Frauen auch hinter der Kamera vertreten. Fairfax schrieb zwischen 1911 und 1926 fast 50 Drehbücher und war auch für den Schnitt einiger Filme verantwortlich. Für „The Lost World“ überarbeitete sie die Vorlage so, dass die Handlung auf bestimmte Höhepunkte zulief. Dem fielen u. a. jene Passagen zum Opfer, in denen Doyle die gewaltreichen Konflikte mit den Affenmenschen des Saurier-Plateaus geschildert hatte.

Doyle hatte keine Frau an der Expedition nach Südamerika teilnehmen lassen. Doch im Kino bestanden die Zuschauerinnen auf weibliche Präsenz, wenn sie dem Abenteuer folgen sollten. Die Geschichte lief nunmehr so ab: Professor George Edward Challenger behauptet in London, dass der in Südamerika verschollene Forscher Maple White auf einem isolierten Hochplateau lebendige Dinosaurier entdeckt hat! Er will dorthin reisen, um dies zu dokumentieren sowie White retten, weshalb ihn dessen Tochter Paula auf den fernen Kontinent begleitet. Ebenfalls mit dabei sind Professor Summerlee, der Challenger für einen Aufschneider hält, Sir John Roxton, der berühmte Entdecker und Großwildjäger, und der Reporter Edward Malone, der über die Expedition berichten soll.

Vor Ort findet man tatsächlich das Plateau und kann dorthin vordringen. Erstaunt und erschrocken steht man zwischen Dinosauriern, die nicht immer harmlos sind. Den Reisenden sitzt außerdem ein Affenmensch im Nacken, der die Eindringlinge unbedingt vertreiben oder umbringen will. Dennoch richtet man sich in einer Höhle ein und erkundet die Umgebung. Roxton findet Maple Whites sterbliche Überreste, Malone verliebt sich in Paula. Ein Vulkan bricht aus, aber die Gruppe kann nicht nur entkommen, sondern sogar einen lebendigen Brontosaurier nach London bringen! Der bricht dort aus und tobt durch die Straßen, bis die Tower Bridge unter ihm zusammenbricht und er die Themse hinab und in die Freiheit schwimmt. Challenger ist rehabilitiert, Malone und Paula finden zusammen.

Sehr komplex klingt diese Geschichte nicht, aber sie war, was sie sein sollte: eine Abfolge sich steigernder cineastischer Sensationen, die sich zu einem überwältigenden Spektakel fügten! Diese Mission wurde erfüllt, obwohl es aus heutiger Sicht schwerfällt, den einstigen Eindruck nachzuempfinden. Ein Jahrhundert ständig entwickelter, perfekter werdender Spezialeffekte liegt hinter uns. Doch wir müssen uns vor Augen führen, dass „The Lost World“ ganz am Anfang steht. Die Zuschauer waren verblüfft, dass es möglich war, ausgestorbene Kreaturen nicht nur ‚wiederzubeleben‘, sondern sie zusammen mit Menschen auftreten zu lassen! (Der Brontosaurier heißt heute übrigens „Apatosaurus“, aber da er 1925 ohnehin eher einfallsreich als naturwissenschaftlich korrekt dargestellt wurde, bleibt es hier beim alten Namen.)

Im 21. Jahrhundert lassen sich die Tricks leicht durchschauen, aber das war 1925 völlig anders. Dass die Illusion quasi zur Realität wurde, ist das Verdienst von Willis O’Brien, der sich mit seinem Team völlig verausgabte und dank seines ebenso engagierten Assistenten Marcel Delgardo (1901-1976), der die Sauriermodelle baute und formte, Höchstleistungen erbrachte. Manches Miniatur-Diorama war viele Quadratmeter groß, und dort tummelten sich zehn oder mehr Saurier gleichzeitig, die sich alle ‚bewegten‘ sowie ‚atmeten‘. Allein der Brontosaurier musste von drei gut aufeinander eingespielten Männern bewegt werden! Man bedenke, dass hier mehrere Stop-Motion-Baustellen geöffnet wurden, die simultan zu bearbeiten waren. Fehler konnten erst nach Entwicklung des Films bemerkt werden. Hatten sie sich an einer Stelle eingeschlichen, war die Gesamtszene unbrauchbar und musste wiederholt werden. Damit stand womöglich die Arbeit von Wochen zur Disposition.

Raue Töne mit sanften und seltsamen Zwischenklängen

O’Brien hatte begriffen, dass ‚Monster‘ zwar bestaunt, aber schnell vergessen werden. Deshalb sorgte er für ein emotionales Band zwischen seinen künstlichen Kreaturen und den Zuschauern, indem er beispielsweise zeigte, wie eine Triceratops-Mutter ihr täppisch-niedliches Junges gegen einen gierigen Allosaurier verteidigte. Dennoch ist die ‚Sprache‘ dieses Films oft eine andere, als wir sie kennen. Auch hier hat ein Jahrhundert für viele Veränderungen gesorgt. Was einst selbstverständlich war, betrachten wir heute kritisch oder sogar ablehnend.

1925 stand das Wort „Wildnis“ als Synonym für eine Landschaft, in der Tiere, „Eingeborene“ und manchmal sogar Pflanzen ständig auf der Lauer lagen, um unvorsichtige Fremdlinge zu überfallen. Nur mutige Männer durften sich gut bewaffnet in solche Regionen wagen und hoffen, lebendig wieder heimzukehren. Schon damals sah die Realität vor Ort anders aus, aber daran musste sich das Kino à la „Die verlorene Welt“ nie halten. Mehr oder weniger gut geschnittene Szenen stellen (schlapp an einem Ast hängende) Schlangen, einen durch das (Kulissen-) Unterholz schleichenden Jaguar oder einen im Wasser treibenden Kaiman unseren Reisenden gegenüber, die entsprechend entsetzt (Paula) oder abwehrbereit (die Männer) reagieren.

Stärker fallen heute rassistische Vorurteile auf. So wurde der ‚eingeborene‘ Führer durch den südamerikanischen Dschungel nicht etwa von einem einheimischen Schauspieler dargestellt. Stattdessen schmierte sich der in den USA und weiß geborene Jules Cowles schwarze Farbe ins Gesicht und mimte den tölpelhaften, ängstlichen „Zambo“ - „Blackfacing“ der heute verrufenen Art, aber 1925 völlig selbstverständlich.

Überhaupt blieben die Angelsachsen auch in der Ferne unter sich. Ins Bild schlich sich höchstens noch ein „Affenmensch“ (mit dem schönen Künstlernamen „Bull Montana“), der die von Arthur Conan Doyle auf dem Plateau beheimateten Vormenschen eher kümmerlich repräsentierte. Als Spießgeselle diente ihm ausgerechnet eine (echte) Schimpansin (namens Mary), die keineswegs in Südamerika ansässig war: Einmal mehr triumphierte der Schauwert über die Logik, was in einem Film, in dem Dinosaurier die Hauptattraktion darstellen, absolut zulässig ist.

Aus weiblicher Sicht wird die Rolle der Frau völlig unterbewertet - natürlich, muss man wohl sagen, denn die klassische Filmgeschichte ist ein Hort männlicher Dominanz. Also darf Paula White zwar mit nach Südamerika, muss aber dort ständig beschützt, umarmt und getröstet werden. Sie bleibt auch als Objektiv männlicher Liebe passiv und pendelt zwischen Roxton - den sie definitiv nicht liebt - und Malone, der aber einer anderen Frau ein Heiratsversprechen gegeben hat, was absolut bindet und über dem persönlichen Glück steht.

O’Brien sorgte auf seine Weise dafür, dass die oft schwerfällige Regie des in erster Linie durch diesen Film in die Kinogeschichte eingegangenen Harry O. Hoyt (1885-1961) nicht mehr so stark ins Gewicht fällt, nachdem die Story Südamerika erreicht und Tempo aufgenommen hat. Dass vor 100 Jahren ‚anders‘ erzählt wurde, erklärt die sehr ausführliche Einleitung. Langsam, aber gewissenhaft werden uns die Figuren sowie London bzw. Challengers Umfeld vorgestellt, was auch den letzten Akt vorbereitet, der nicht in Südamerika, sondern in England spielt: ein genialer Einfall, den schon Doyle nutzte, um seine „verlorene Welt“ im Herzen der abendländischen Zivilisation aufleben zu lassen.

Schon die Plateau-Szenen waren eine Sensation, aber sie wurden mühelos getoppt, als der wütende Brontosaurier durch London stürmte, diverse bekannte Wahrzeichen passierte (oder demolierte), englische Mitmenschen bedrohte und schließlich auf der Tower Bridge ins Wasser fiel: Die Fremde lockt, aber die Heimat rührt an den Herzen. (Das Biest musste wohl auch deshalb über den Atlantik verschifft werden, weil die Expedition seltsamerweise keine Kamera oder einen Fotoapparat auf das Plateau mitgebracht hatte ...) Nicht grundlos tobte acht Jahre später King Kong durch New York und stieg auf das Empire State Building!

Zwischen den Ungetümen sichtbar bleiben

Im Fokus des Films standen die ‚Ungeheuer‘. Oft tauchen die Menschen nur als winzige Gestalten am unteren Bildrand auf, wo sie sich hinter Steinen und Baumstümpfen verstecken. Dennoch wurde eine 1925 prominente Schauspielerschar vor die Kamera gestellt. So gibt Wallace Beery (1885-1949) einen (realiter in Kansas City geborenen) körperlich präsenten, bärtigen und reizbaren ‚Wissenschaftler‘, der eher ein Mann der Tat und ein Abenteurer ist (und Ed Malone erst einmal verprügelt, als der sich als verhasster Reporter outet).

Für die jüngeren Zuschauer dient Lloyd Hughes (1897-1958) als Identifikationsfigur. Malone ist der typische, schon damals zur Klischeefigur mutierte „rasende Reporter“, der sein Leben für die „eine Chance“, mit der er aus dem anonymen Heer der Schreiberlinge hervortreten kann, aufs Spiel setzt. Außerdem ist er der männliche Ankerpunkt für die ins Drehbuch gezwungene Liebesgeschichte und verfällt umgehend der tragischen Tochter Paula White, der Bessie Love (1898-1986) in zahlreichen Großaufnahmen zeitgenössisch distanzierten Liebreiz verleiht. „The Lost World“ war für sie nur eine Filmrolle von vielen; ihre Schauspielerkarriere währte mehr als sechs Jahrzehnte, in denen sie das gesamte Repertoire der für Frauen typischen Rollen durchlief. (Vom Kino verabschiedete sie sich 1983 mit einer Nebenrolle in dem modernen Vampir-Klassiker „The Hunger“/„Begierde“.)

Lewis Stone (1879-1953) war praktisch die erste und einzige Wahl als Sir John Roxton. Obwohl in den USA geboren, wurde er nach dem Ersten Weltkrieg das Gesicht aristokratischer und auch sonst edler Männer, die sich heldenhaft und selbstverständlich jeder Gefahr stellen und still leidend verzichten, wenn sich die geliebte Frau (hier Paula) für einen anderen Mann (hier Malone) entscheidet. Auch im Alter behielt Stone sein gutes Aussehen, nicht aber seine Gesundheit: Als er Mitte September 1953 freche Kinder von seinem Grundstück vertreiben wollte, fällte ihn ein tödlicher Herzschlag.

Arthur Hoyt (1874-1953) war nach dem Ersten Weltkrieg ein bekannter Hollywood-Darsteller: An beinahe 300 Filmen war er beteiligt. In „Die verlorene Welt“ leidet seine Rolle unter den Einschränkungen, die das Drehbuch der Figur auferlegt. Im Roman von Doyle reibt sich Summerlee deutlich hitziger an Challenger. Im Film ist er wenig mehr als eine komische Gestalt, die durch übertriebene Steifheit amüsieren soll (und einmal in ein Schlammloch stürzt).

Ein Film gerät in Vergessenheit

„Mighty prehistoric monster clashing with modern lovers“: Die Zwischentitel sprangen den Zuschauern förmlich in den Augen, als sie 1925 auf diesen Film vorbereitet wurden. (Der zündende Spruch sollte außerdem weibliche Kinogänger darauf aufmerksam machen, dass auf der Leinwand nicht nur schnaubende Ungeheuer rumorten, sondern auch zwei wackere Kerle - dargestellt von in diesem Rollenfach bewährten Darstellern - um eine Frau buhlten.) In einer Szene der Vorschau wird sogar Doyles Roman aufgeblättert, um die (film-) historische Relevanz des Kinoereignisses unter Beweis zu stellen. Autor Arthur Conan Doyle selbst trat für die Premierenfassung vor die Kamera, hielt eine (stumme) Einstiegsrede und schürte die Erwartungshaltung.

Am 18. Juni 1925 fand die Premiere in Anwesenheit sämtlicher Hauptdarsteller in Sid Grauman’s „Million Dollar Theatre“ in Hollywood statt. Die Presse überschlug sich vor Begeisterung, und in den folgenden Wochen und Monaten strömten die Massen (trotz drastisch erhöhter Eintrittspreise) in die Kinos. Die „First National Pictures“ kamen auf ihre Kosten, obwohl sie 1 Mio. Dollar investiert hatten. Diese Premierenfassung muss für das zeitgenössische Publikum eine Offenbarung gewesen sein: Obwohl schwarzweiß, waren Schüsselszenen nachträglich eingefärbt oder sogar (Bild für Bild) koloriert worden. „The Lost World“ wurde zum Tagesgespräch. Geschicktes Marketing unterstützte den Erfolg. Die Fluglinie „Imperial Airlines“, die ab 1924 regelmäßig zwischen London und Paris unterwegs war, zeigte im April 1925 mit „The Lost World“ zum ersten Mal überhaupt einen Film in einem Flugzeug. (Im Februar 1926 folgte die gerade gegründete „Deutsche Luft-Hansa“ diesem Beispiel während eines Fluges über Berlin.)

Nichts währt kürzer als die Sensation des Spektakels. Ist es abgebrannt, wird es vergessen, und die Zuschauer verlangen eine neue, noch eindrucksvollere Vorstellung. In den Jahren nach 1926 wurde „The Lost World“ zwar weiterhin gezeigt, doch die ursprünglich beinahe zweistündige Handlung verkürzte sich auf etwas mehr als eine Stunde. Dies betraf vor allem die Saurier-Szenen, die dem Publikum aus dem Gedächtnis schwinden sollten: 1929 wurden die „First National Pictures“ vom Studio „Warner Brothers“ übernommen. Da inzwischen der Tonfilm seinen Siegeszug angetreten hatte, dachte man über eine Neuverfilmung nach, in die man die weiterhin beachtlichen Effekte mehr oder weniger erneut einfügen konnte; in Hollywood war diese zeit- und geldschonende Methode an der Tagesordnung.

Doch die Weltwirtschaftskrise von 1929 führte zur Einstellung des Projekts. Willis O’Brien wechselte zum Studio „RKO Pictures“ und besorgte die Effekte für „King Kong“ (1933). „The Lost World“ geriet in Vergessenheit. Ein Feuer vernichtete das Original-Negativ. Jahrzehntelang galt die Rumpffassung als einziges Zeugnis und gleichzeitig Erinnerung an diese nun tatsächlich „verlorene Welt“.

Als 1991 in einem vergessenen Abstellraum der Firma „Petrified Films“ - einst Lieferant für „stock films“, d. h. ausrangierte Filmsegmente, die kostensenkend in Neufilme integriert wurden - ein Lager nie katalogisierter Filmrollen entdeckt wurde, fand man dort neben anderen Schätzen aus alten Warner-Beständen auch viele jener Szenen wieder, die man einst aus „The Lost World“ herausgeschnitten hatte. Acht Minuten konnte man retten, aber das Glück war den Filmhistorikern weiterhin hold: Schon 1992 tauchte im Bestand des Nationalen Film-Archivs in Prag eine nicht unbedingt gut erhaltene, aber beinahe vollständige Kopie des Originalfilms auf! Dank eines frühen Crowdfundings - in dessen Verlauf sich auch „Playboy“-Oberhase Hugh Heffner als spendenwilliger Fan dieses Films outete - konnte man das empfindliche, zerfallende, äußerst feuergefährdete Filmmaterial sichern und restaurieren. Weitere Schnipsel aus den Beständen privater Sammlung kamen hinzu.

Allerdings konnten gleich zwei auf der Basis des nun vorhandenen Materials entstandene Versionen nicht die Zustimmung der Hardcore-Fans finden. Nicht alle gefundenen Szenen waren wieder einmontiert worden. Einige - so eine aufwändig in Szene gesetzte Begegnung der Reisenden mit ‚Kannibalen‘ - blieben verschollen. Sie waren womöglich schon 1925 auf dem Boden des Schnittraums gelandet; es bleiben uns nur einige Fotos von den Dreharbeiten. (Im Film ist ein Kannibale ganz kurz und ohne die genannte Szene sinnlos am Dschungelrand zu sehen).

Die Verantwortlichen wiesen darauf hin, dass sich kein Schnittprotokoll erhalten hatte, in der jede Szene und Einstellung aufgelistet wurde. Außerdem hielten einige der gefundenen Passagen eindeutig Animationsproben fest, die man noch einmal verändert und so nicht in den Film aufgenommen hatte.

Inzwischen haben Fans das Ruder übernommen und „The Lost World“ privat wiederhergestellt. Die digitale Technik ist ebenso auf ihrer Seite wie das Recht, denn „The Lost World“ ist inzwischen aus dem Urheberrecht gefallen und gemeinfrei. So muss man nur wenige Tasten drücken und kann den Film gratis in diversen Versionen (und bei Bedarf sogar koloriert) in erfreulicher Bildqualität auf „YouTube“ anschauen. Wer einen (kindlichen) Sinn für das klassische Unterhaltungskino besitzt oder sich bewahren konnte, sollte den Versuch wagen: „The Lost World“ hat seine grundsätzliche Magie bewahren können. Gleichzeitig beweist dieser Film, dass man die Kinogeschichte bewahren muss, um sie verstehen zu können. „The Lost World“ sorgte für Konventionen (und Klischees), die wir 100 Jahre später in aktuellen Produktionen wiedererkennen!

Wieder aufgetaucht und nie mehr verschwunden

Zwar zerschlugen sich in den 1930er Jahren alle Pläne, in die „Verlorene Welt“ zurückzukehren. Auf Dauer war die Story ungeachtet des Aufwands, der getrieben werden musste, jedoch zu verlockend. Dennoch dauerte es bis 1960, bevor eine Neuverfilmung ins Kino kam. Produzent und Regisseur Irwin Allen (1916-1991) war das Pendant zu einem Zirkusdirektor, der sich vor sein Publikum stellt und voller Überzeugung Sensationen ankündigt, die es so nie wirklich zu sehen bekommt. Ungeachtet seines Hangs zur Übertreibung und seiner notorischen Sparsamkeit war Allen für klassische Phantastik bekannt. Vor allem „Voyage to the Bottom of the Sea“ (1961, „Unternehmen Feuergürtel“) sowie TV-Serien wie „Time Tunnel“ (1966/67) oder „Land of the Giants“ (1968-1970, „Planet der Giganten“) wurden Publikumserfolge.

„The Lost World“, durchaus mit Vorfreude erwartet, enttäuschte die Zuschauer. Allen hatte auf Stop-Motion-Tricks verzichtet. Stattdessen filmte er echte Eidechsen in Zeitlupe. Die ‚erschrockenen‘ Darsteller wurden anschließend verkleinert in das Filmbild eingespiegelt. Obwohl diese Effekte sehr sorgfältig umgesetzt waren, konnte man sie als solche sofort erkennen. Sie wurden nie so hochgeschätzt wie die ‚echten‘ Film-Saurier, waren als kostengünstige Alternativlösung aber bei den Produzenten beliebt und fanden daher Eingang in Streifen wie „One Billion B. C.“ (1940, „Tumak, der Herr des Urwalds“) bis „Journey to the Center of the Earth“ (1959, „Die Reise zum Mittelpunkt der Erde“).

1992 eignete sich der Trash-Produzent Harry Alan Towers (1920-2009) die Story an. Er verlegte sie nach Afrika und ersetzte Sir John Roxton durch die Fotografin Jenny; für ein jüngeres Zielpublikum (und als Klischee-Nervensäge) kam der 13-jährige Jimmy hinzu. Das Drehbuch war schwach, die Spezialeffekte waren dilettantisch. Der schlaue Towers hatte Regisseur Timothy Bond bereits weitere Szenen drehen lassen, die noch 1992 in eine Art Fortsetzung eingingen. Dieselbe Darstellerriege trat in „Return to the Lost World“ („Rückkehr in die verloren Welt“) auf. Auch dieser Streifen ging nicht in die Filmgeschichte ein.

Dies gilt ebenfalls für „The Lost World“ („Sir Arthur Conan Doyle’s Lost World“), eine US-kanadische Co-Produktion aus dem Jahre 1992. Nunmehr erhebt sich das Plateau in der Mongolei, und die Geschichte spielt Anno 1934. Aus den Affenmenschen sind Neandertaler geworden. Auch sonst gibt es zahlreiche Änderungen zur Romanvorlage; so findet Professor Summerlee einen erstaunlich blutigen Tod, und auch Roxton überlebt die Reise nicht.

1999 taten sich Produzenten aus Kanada, Neuseeland und Australien zusammen, um eine TV-Serie nach Doyles Roman zu realisieren. Abermals reist eine Frau mit, und auf dem Plateau trifft man die dralle, unter einer Textil-Unverträglichkeit leidende Veronica. Die Gruppe lässt sich in ihrer Baumhaus-Villa nieder und erforscht die verlorene Welt. Dabei geraten die Plateau-Saurier immer weiter in den Hintergrund, stattdessen mischen Echsenmenschen, Zeitreisende oder Außerirdische mit. Nach 66 Folgen stiegen die Zuschauer aus, und die dritte = letzte Staffel endete 2001 mit einem Cliffhanger, der nie aufgelöst wurde. (Für enttäuschte Restfans fassten die Autoren die angedachte, nunmehr endgültig Doyle-freie Handlung schriftlich zusammen.) Im Gedächtnis blieben die frühen, aufgrund des Knapp-Budgets schauerlich gealterten Digital-Saurier.

Aus England stammte 2001 eine zweiteilige TV-Version, die mit echten Filmstars wie Bob Hoskins als Professor Challanger oder James Fox als sein Widersacher Summerlee punkteten. Hinzu kam als verrückter Prediger - wieder eine hinzugefügte Figur - Peter „Columbo“ Falk. Dieses Mal wurde der Romanvorlage immerhin Genüge getan, denn endlich drangen die Affenmenschen kopfstark ins Geschehen vor!

Zwischen diese eher mediokeren Produktionen legte sich 1993 wuchtig das von Stephen Spielberg inszenierte Spektakel „Jurassic Park“. Es basierte auf dem Bestseller-Roman von Michael Crichton (1942-2008), der sich bestimmte Motive aus Doyles Roman aneignete, aber den Plot modernisierte und in (scheinbaren) Einklang mit der aktuellen Naturwissenschaft brachte.

Hier ist nicht der Ort, um auf den globalen Doppelschlag von Roman und Film einzugehen. Der Erfolg war immens und rief ein eigenes Franchise ins Leben. Crichton schrieb eine Romanfortsetzung. „Jurassic Park: Lost World“ erwies Doyle im Titel seine Reverenz. Spielberg inszenierte 1997 den Film, der ebenfalls Rekordgewinne einspielte. 2001 schloss „Jurassic Park III“ diese Trilogie ab. Es dauerte einige Jahre, aber das Franchise meldete sich 2015 mit „Jurassic World“ zurück. Auch dieses Mal folgten zwei Fortsetzungen (2018 und 2021) sowie zwei computeranimierte TV-Serien („Jurassic World: Camp Cretaceous“/„Jurassic World: Neue Abenteuer“, 2020-2022, und „Jurassic World: Chaos Theory“/„Jurassic World: Die Chaostheorie“, ab 2024). Mit „Jurassic World: Rebirth“ („Jurassic World: Die Wiedergeburt“) geht es ab 2025 im Kino weiter.

Weitere Filme und Serien sind in der Planung. Sie werden fortsetzen, was vor einem Jahrhundert spektakulär begann. Der Titel „The Lost World“ klingt schon lange wie ein Scherz, denn tatsächlich wird diese Welt ständig neu entdeckt, interpretiert und in hoffentlich überwältigenden Bildern immer neuen Zuschauergenerationen nahegebracht. Geblieben ist der Kern der von Arthur Conan Doyle entworfenen Weltnische als besonderer Ort, an dem die Zeit stehenblieb und die Dinosaurier überlebten!

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