Arkham Horror: Der Kult der Spinnenkönigin

  • Cross Cult
  • Erschienen: Dezember 2022
  • 0
Arkham Horror: Der Kult der Spinnenkönigin
Arkham Horror: Der Kult der Spinnenkönigin
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Michael Drewniok
75°1001

Phantastik-Couch Rezension vonApr 2023

Auf den Spuren von Cthulhu & King Kong

Anonym wird der Zeitung „Arkham Advertiser“ ein Päckchen zugestellt. Es kommt aus Brasilien und enthält eine Weißblechdose, in der ein Film steckt: Wir schreiben das Jahr 1927, weshalb besagter Streifen schwarzweiß und stumm ist. Die Aufnahmen zeigen Maude Brion, eine bekannte Dokumentarfilmerin, die im Vorjahr spurlos irgendwann am Amazonas verschwand, wo sie der „Spinnenkönigin“, einer mysteriösen indigenen Gottheit, nachspüren wollte.

Andy van Nortwick, ein junger Reporter, bringt den Film an sich. Er will sich profilieren und außerdem ein Abenteuer erleben. In der Dose findet er ein Zettel mit der Aufschrift „Maude Brion ist quicklebendig“. Sollte es Andy gelingen, die verschollene Film-Frau zu finden, wäre seine berufliche Zukunft gesichert!

Der Reporter reist nicht allein an den Amazonas. Begleitet wird er von der Anthropologin Iris Bennett Reed. Sie verfolgt eigene Pläne: Vor Jahren musste sie ihren todkranken Gatten, den Abenteurer und Mystiker Galton Reed, just dort zurücklassen, wohin auch Maude Brion gelangt ist. Mit an Bord sind außerdem die Weltreisenden Ursula Downs und Jake Williams, die sich ebenfalls für das Rätsel interessieren.

Vor Ort stößt die Gruppe auf den Glücksritter Ashley Lott, der gern die Spinnenkönigin fangen und gegen Geld ausstellen würde. Man wird sich dort wiedertreffen, wo sie lauert. Doch die Neuankömmlinge werden erwartet – und nicht nur die ‚Göttin‘ gedenkt sie keineswegs wieder ziehen zu lassen ...

Die Karten des Todes

Obwohl wir längst wissen sollten, wie viel Milch aus einer Kuh gepresst werden kann, ist es dennoch erstaunlich, auf welche Weise sich ein modernes Franchise entwickelt. Als Howard Philips Lovecraft (1890-1937) in den späten 1920er Jahren den Cthulhu-Mythos schuf, blieb dieser ein Geheimtipp für Horror-Aficionados. Erst Jahrzehnte später wurde Lovecrafts Idee eines Universums, in dem mächtige, urzeitliche Entitäten einen Krieg führen, der auch auf der Erde stattfindet, aufgegriffen – und meist trivialisiert: Die unverständlichen Taten absolut fremdartiger Wesen wurden vom ‚kosmischen‘ Überbau befreit und nur diverse unheimliche Eigenschaften und Erscheinungsbilder übernommen. Faktisch sind diese Lovecraft-light-Monster Kreaturen des Horror-Mainstreams.

Die Buchreihe „Arkham Horror“ basiert auf einem sog. „Living Card Game“. Früher nannte man so etwas „Kartenspiel“, doch dieser Ausdruck klingt in den Ohren von Werbetrommlern wohl zu profan. Die Spieler übernehmen Rollen und werden auf ein Abenteuer geschickt, das sich inhaltlich an Lovecraft-Motiven orientiert. Rätsel sind zu lösten, während sich Portale öffnen, die in andere Sphären und Welten münden; dort hausen finstere Mächte und Ungeheuer, die auf ihre Chancen lauern, über die Erde herzufallen.

Seit 1987 existiert „Arkham Horror“. Ursprünglich schlug das Grauen tatsächlich in der (fiktiven) Stadt Arkham zu, die Lovecraft einst in den neuenglischen US-Bundesstaat Massachusetts verlegt hatte. Die ersten ‚Romane zum Kartenspiel‘ hielten sich (lose) an das Vorbild, doch „Der Kult der Spinnenkönigin“ verlässt den kühlen Nordosten Nordamerikas und spielt am Amazonas. Der fließt hier durch ein (Alb-) Traumland, für das der Lovecraft-Horror kräftig mit den Trivialmythen einer Ära vermischt wird, die fernab heutiger „political correctness“ die exotische Ferne mit schwüler Hitze, lockeren Sitten, giftigen/blutrünstigen/bösartigen Tieren und „Wilden“ gleichsetzte, die ihre wohlweislich gut bewaffneten, in Khaki plus Tropenhelm gewandeten, wechselweise Gin und Chinin schluckenden Besucher mit Pfeilen beschossen und in große Kochtöpfe steckten.

Die Welt der weißen Flecken

Tarzan und King Kong stehen Pate für diese Welt der Zauber und der Schrecken, die so nie existiert hat; in „Der Kult der Spinnenkönigin“ kommt eine Prise „Die vergessene Welt“ – erschaffen von Arthur Conan Doyle, der nicht nur Sherlock Holmes erfunden hat – hinzu. Nicht grundlos spielt die Geschichte 1927, denn Realität bekäme ihr nicht. Im frühen 20. Jahrhundert war der Globus noch nicht kartiert. Ganze Landstriche waren ‚weiß‘ = galten als unentdeckt, obwohl sie von indigenen Völkern bewohnt wurden, die man aber so „woke“ nicht bezeichnete, sondern als lästiges Ärgernis, potenzielle Sklaven oder aufregend seltsame „Eingeborene“ betrachtete.

Wie Maude Brion und Andy van Nortwick schwärmten wagemutige „Entdecker“ aus ‚zivilisierten‘ Staaten in solche Regionen aus, um die dort herrschende Exotik in Bild und Ton festzuhalten, sobald dies technisch möglich war. Daheim war dafür in einer Welt ohne Internet ein zahlendes Publikum zu finden. Der erwähnte „King-Kong“-Film, gedreht 1933, atmet diesen Zeitgeist, an den sich hier S. A. Sidor anhängt. Allerdings muss man sich als Leser mit abenteuerlichem Horror aus zweiter Hand zufriedengeben. Sidor ist ein Lohnschreiber, der ihm vorgegebene Stoffe in Geschichten verwandelt. (Als „Steven Sidor“ schreibt er lesenswerte Thriller.) Er hat bereits mehrere Romane für das „Arkham-Horror“-Franchise verfasst. Ihm wird auf der Basis des Kartenspiels vorgegeben, in welchen Grenzen sich sein Garn abspulen muss. ‚Echter‘ Horror ist in diesem Umfeld nicht zu erwarten. Zwar greift Sidor vieles auf, was Lovecraft in die Welt gesetzt hat, ohne jedoch jemals dessen atmosphärische Dichte zu erreichen.

Das ist aber gar nicht beabsichtigt. „Arkham Horror“ soll action- und metzelreichen Grusel als Ballaststoff für simples, effektstarkes Lesefutters bieten. Absichtlich wandelt der Verfasser in den Spuren der zeitgenössischen „Pulp“-Magazine, die genau solche Kost boten. Wer dies berücksichtigt und sich vor allem von der Erwartung löst, wahrhaft lovecraftsche Phantastik präsentiert zu bekommen, dürfte und kann sich durchaus unterhalten fühlen, obwohl Sidor ausschließlich Stereotypen in mechanisch montierten Gruselszenen versetzt.

Reise in den Bauch der Finsternis

Halt, gänzlich wird die Moderne nicht ausgeklammert: Die Expedition zählt gleich zwei weibliche Teilnehmer, und die Suche gilt einer dritten ‚starken Frau‘. Diese Bezeichnung muss in Anführungsstriche gesetzt werden, weil Sidor die entsprechenden Eigenschaften und Verhaltensweisen jenem Musterkatalog entnimmt, den auch Hollywood und weltweit die Produzenten moderner Streaming-Serien nutzen.

Den zog er auch für die übrigen Figuren heran, weshalb wir u. a. den wagemutigen, aber unerfahrenen Jüngling, den älteren, in der Bitternis des Lebens gereiften Gefährten, den größenwahnsinnigen Möchtegern-Magier (vgl. Rasputin aus „Hellboy“) oder den schurkischen Forscherrivalen (vgl. Belloq aus „Jäger des verlorenen Schatzes“) wiedersehen. Hinzu kommt ein wenig Folklore in Gestalt freundlicher ‚Indios‘, die lokale Legenden erzählen.

Mehrfach greift Sidor Ereignisse auf, die offensichtlich in den Vorgängerbänden der „Arkham-Horror“-Serie geschahen. Dies dient der Verdichtung einer Saga, die gefälligst zur Gänze gelesen (oder wenigstens gekauft) werden soll. Die Unkenntnis beeinträchtigt die Lektüre nicht; man kann solche Passagen ignorieren, wie überhaupt viel Handlungsleerlauf, unnötig angerissene Nebengeschichten und überflüssiger Biografie-Ballast zu solchen Augensprüngen einladen. Die Redseligkeit der Pulps hätte Sidor besser nicht übernommen, aber die Story fasst wieder Fuß und sorgt für ein Finale, das die Knochen buchstäblich krachen lässt!

Fazit:

Ein Kartenspiel ist die Vorlage für destillierten Lovecraft-Horror, der nur als Motiv-Steinbruch für ansonsten betont triviales, auf „Pulp“ getrimmtes Lesefutter dient. Wer sich darauf einlässt, wird garantiert nie originell, aber routiniert unterhalten.

Arkham Horror: Der Kult der Spinnenkönigin

S. A. Sidor, Cross Cult

Arkham Horror: Der Kult der Spinnenkönigin

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