Die Wissenschaft von Game of Thrones

  • wbg Theiss
  • Erschienen: März 2023
  • 0
Die Wissenschaft von Game of Thrones
Die Wissenschaft von Game of Thrones
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Marcel Scharrenbroich
80°1001

Phantastik-Couch Rezension vonAug 2023

Top-Experten in Ekstase

Traumen und Flashbacks

Soso… Wissenschaft, ja? Das ehemalige Schulkind in mir kreischt gerade wie am Spieß und es treibt mir mit einem Flashback nach dem anderen die kalten Schweißperlen auf die in Falten geworfene Stirn. Staubtrocken, gähnend langweilig und reichlich Kopf-auf-Tischplatte-Potential… und damit meine ich nicht (nur) meine damaligen Lehrer in wissenschaftlichen Fächern. Fakten, Fakten, Fuckten… analytisch aneinandergereiht, meist mit sonorer Stimme vorgetragen, als hätte die Lehrkraft gerade zum ersten Mal Feuer gemacht, während klangvoll in den Raum geworfene Buchstabenfolgen sich in meinen Hirnwindungen auseinanderzogen und beinahe magisch in anderer Reihenfolge wieder zusammensetzten. Überraschend, aber JA… ich habe die Schule trotzdem (irgendwie) abgeschlossen. Dennoch erzeugen wissenschaftliche Themen heute noch eine Gänsehaut bei mir. Ein Dilemma, denn ich liebe „Game of Thrones“ und die gesamte Welt, die der Autor George R. R. Martin erschaffen hat. Geholfen, dass ich mich mit der Wissenschaft eben jener Welt auseinandersetzen wollte, hat die Tatsache, dass Jean-Sébastien Steyer, der Herausgeber von „Die Wissenschaft von Game of Thrones“, schon maßgeblich an „Die Wissenschaft von Mittelerde“ (ebenfalls bei WBG THEISS erschienen) beteiligt war. Ein beeindruckendes Werk, welches wir übrigens zum „Buch des Jahres“ kürten. Also: Ruhe im Saal, hinsetzen und Augen auf die Tafel…

Unter die Lupe genommen

Entgegen der historischen Fantasy, bei der zum Worldbuilding wohl hauptsächlich geschichtliche Recherchen vonnöten sind, gehen Autorinnen und Autoren epischer High-Fantasy-Romane andere Wege. Ihre Welten wollen erst noch geschaffen werden und liegen keiner vergangenen Realität zu Grunde. Das hat Vor- aber auch Nachteile. Ist man des guten Schreibens mächtig und mit reichlich Kreativität gesegnet, kann der oder die Schreibende komplett in die Vollen gehen: Drachen, Ungeheuer in allen Formen und Farben, fremde Völker, erdachte Sprachen und allerlei Schnickschnack. Der Fantasie sind halt keine Grenzen gesetzt. So weit, so gut. Will man das Setting aber glaubhaft an die Leserschaft bringen, muss man sich jedoch mehr Gedanken machen. Da reicht es nicht, einen feuerspeienden Drachen in die Pampa zu setzen und zu sagen „Hier, da isser“, nein. Es drängen sich Fragen auf, wo er herkommt, wie er lebt und wo sein Platz in dieser fiktiven Welt ist. Wie ernährt er sich? Wie kann er überleben? Solche Fragen werden nicht nur vielleicht aufkommen, sie kommen definitiv auf, wenn ich mich ernsthaft in ein Geschehen ziehen lassen soll. Nur ein Beispiel von vielen, denn idealerweise sollte beim Worldbuilding kein Detail unbeachtet bleiben. Gerade bei einer komplexen Welt wie in „Game of Thrones“ bzw. „Das Lied von Eis und Feuer“, der (stagnierenden) Roman-Vorlage des TV-Phänomens, muss vor dem eigentlichen Schreibprozess nicht nur Augenmerk auf die geschilderte Gegenwart gelegt werden. Das würde keineswegs ausreichen, denn vergangene Kriege, Fehden und andere Ereignisse müssen quasi ungeschrieben in Stein gemeißelt sein, um die aktuelle Handlung zu rechtfertigen. Mit einer fixen Idee ist es also nicht getan. George R. R. Martin recherchierte akribisch und durchdacht, keine Frage. Ich würde nur zu gerne mal einen Blick auf seine Timelines und Notiz-Sammlungen werfen. Martin ging zudem ziemlich clever vor und gestaltete seine Welt semi-phantastisch. Obwohl alle klassischen Fantasy-Elemente vorhanden sind, orientierte er sich (neben offensichtlichen Einflüssen des literarischen Vorbilds J. R. R. Tolkien) vor allem an historischen Ereignissen. Zum Beispiel den Kreuzzügen des 11. Und 13. Jahrhunderts, den englischen Rosenkriegen oder dem Hundertjährigen Krieg. Somit ist „Game of Thrones“ in weiten Teilen auch ein Spiegel unserer Welt.

So heißt dann auch die Einleitung, mit der Jean-Sébastien Steyer uns denkbar sanft in die „Wissenschaft von Game of Thrones“ einführt. Gleich danach widmet sich Jean-Paul Demoule mit Das Lied von Eis und Feuer, die Geschichte und wir der weitläufigen Serien-Landschaft, welche durch die HBO-Show über acht Staffeln zu neuen Höhen emporstich, auch wenn das durch die TV-Autoren weitergeführte Serienfinale nur bei den wenigsten Fans für Begeisterungsstürme sorgte. Zudem ordnet Demoule „Game of Thrones“ über mehrere Kapitel zeitgeschichtlich ein und geizt dabei nicht mit historischen und kulturellen Details. Der nächste längere Abschnitt, „Planetos“ Zwischen Geografie und Geologie des Imaginären von Stephen Giner, geht dann wissenschaftlich ans Eingemachte. Der Geomorphologe schreibt sich über mehrere Seiten regelrecht in Ekstase, während er unter reichlicher Verwendung von Fachbegriffen die fiktive Welt von Martin mit der unseren vergleicht. Laien (zu denen ich definitiv gehöre) stehen da schnell mal auf dem Schlauch, denn Spektralklasse-Planeten, sedimentäre Gesteine oder Gletschereustatismus können schnell für rauchende Köpfe sorgen.

Diese sehr fachspezifischen Kategorien sind dann für mich auch das größte Manko. Dazu gesellen sich Vergleiche mit unserer Welt, die sich aber hauptsächlich auf Frankreich beziehen. Nicht verwunderlich, basiert die deutsche Ausgabe des Buches doch auf dem französischen Original „Le Trône de Fer et les Sciences“. Somit sind einige Details für hiesige Leserinnen und Leser deutlich schwerer bis überhaupt nicht einzuordnen. Ob George R. R. Martin sich letztendlich wirklich SO viele Gedanken über Westeros und die Sieben Königslande machte, wie die beteiligten Experten ihm wohl gerne zuschreiben würden, steht noch mal auf einem anderen Zettel. Das erinnerte mich zwangsläufig an die Dokumentation „Room 237“, in der die krudesten Theorien über den „Shining“-Regisseur Stanley Kubrick aufgestellt wurden. Sollten nur 50% davon zutreffen, wäre Kubrick wohl das größte Genie gewesen, welches je über unsere Erde gewandelt ist. Ein paar Prozent mehr, und er wäre geschwebt. Ähnlich verhält es sich mit Martin, der - sollten die fundierten Analysen der beteiligten Wissenschaftler vom Autor im Vorfeld beachtet worden sein - diesen Experten mehrere Schritte voraus gewesen sein müsste. Möglich, aber nicht sehr wahrscheinlich.

Nichtsdestotrotz ist „Die Wissenschaft von Game of Thrones“ ein sehr schönes Sachbuch. Speziell für Hardcore-Fans, die gerne jedes Detail ihrer Lieblingsserie genaustens auseinandergenommen haben möchten. Und da liegt der Fokus mal nicht auf der Entstehung der Serie, den Charakteren und ihren Darstellern oder den weltweiten Drehorten. Dazu gibt es nämlich schon umfassende Werke, die Fantasy-Liebhaber bestimmt schon im Regal stehen haben.

Ein weiterer Abschnitt befasst sich mit dem allgegenwärtigen Klima, denn selbst in der Serie wird einem mindestens einmal pro Folge aufs Auge gedrückt, dass „der Winter naht“. Dan Lunt, Professor für Klimatologie an der Universität von Bristol, steigt dazu tief in die Materie ein. Herausgeber Steyer selbst ist Paläontologe und befasst sich gemäß seiner Fachrichtung ausführlich mit den Lebewesen in Martins „bekannter Welt“ und deren geologischer Vergangenheit. Besonders spannend ist Ein Psychologe im Reich der Sieben Königslande von Yann Leroux geraten. Spannend gerade deshalb, weil es in „Game of Thrones“ nicht wenige Charaktere gibt, die so manchen Psychologen allein durch ihren Lebenslauf schreiend in die Flucht schlagen könnten. Sowieso stehen die Figuren, ihre Beziehungen zueinander, stets im Vordergrund. Intrigen, ausgeklügelte Machtspiele, wilder Sex und rohe Gewalt sind Kernthemen. Dabei fokussiert sich Martin nicht auf ein schlichtes Gut-gegen-Böse, sondern bewegt sich stets in Grauzonen. Nahezu jeder Charakter hat Blut an den Händen oder irgendwelche Leichen im Keller… oft sogar beides UND wortwörtlich. Auch sind Charakterentwicklungen, ja, sogar regelrechte Wandlungen zu beobachten. Bekanntlich sollte man sich aber emotional nicht zu sehr an eine Figur binden, da Martin dafür berüchtigt ist, den einen oder anderen liebgewonnenen Charakter urplötzlich und möglichst radikal aus dem Leben zu reißen. Was das für den Psychologen wohl über den Autor aussagt?

Nicht nur inhaltlich „schwere“ Kost

Beim Buch selbst hat man bei WBG THEISS wieder mal ganze Arbeit geleistet. Das stattliche Hardcover ist ein richtig schwerer Brocken und lässt allein optisch keine Wünsche offen. Für die Gestaltung und die zahlreichen Illustrationen in unterschiedlichen Stilen zeichnet sich William Simpson verantwortlich, der schon die Storyboards der TV-Serie anfertigte. Mit dem Goldfolien-Schriftzug auf der Front ist „Die Wissenschaft von Game of Thrones“ ein echter Blickfang. Viel zu schade fürs Regal, dafür ideal als Coffee-Table-Angeber-Highlight… oder als Waffe für Ser Gregor Clegane.

Fazit:

„Die Wissenschaft von Game of Thrones“ ist leider kein zweites „Die Wissenschaft von Mittelerde“. Dafür sind mir persönlich einige Kapitel zu fachspezifisch, da sie das Verständnisniveau eines Ottonormal-Lesers deutlich zu sehr beanspruchen. Durch die voneinander getrennte Themengebiete lassen sich aber leicht die für jeden individuell interessanten Rosinen herauspicken. Das Werk ist nämlich äußerst umfangreich und dank der gelungenen Illustrationen bleibt auch immer wieder Zeit zum Durchatmen.

Die Wissenschaft von Game of Thrones

Jean-Sébastien Steyer, wbg Theiss

Die Wissenschaft von Game of Thrones

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