Das Ministerium der Zeit
- Penguin
- Erschienen: April 2025
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Eine Reise durch die Zeit und das Menschsein
Großbritannien in einer nicht allzu fernen Zukunft: Das scheinbar Unmögliche wurde möglich, das Zeitreisen wurde entdeckt! Noch ahnt die breite Bevölkerung jedoch nichts davon. Stattdessen hat die Regierung ein eigenes Ministerium eingerichtet, welches das Zeitreiseprojekt verwalten und überwachen soll – alles streng geheim. Einer jungen Angestellten, eigentlich zuständig für Dolmetschen und Sprachen, wird es unversehens zuteil, in dieses Ministerium versetzt zu werden. Sie soll dort als „Brücke“ für einen „Expat“ fungieren. Übersetzung: Um auszutesten und erforschen zu können, wie Menschen auf Zeitreisen reagieren, ob diese theoretisch folgenlos bleiben und somit das Potenzial von Sprüngen in die Zukunft auszuloten, hat das Ministerium eine Handvoll Personen aus verschiedenen Punkten der Vergangenheit „gepflückt“ und in die Gegenwart geholt. Die Auswahl ist dabei sehr behutsam erfolgt, denn es wurden nur Menschen genommen, deren Tod historisch belegt sowieso kurz bevorstand, damit ihr Verschwinden den Zeitstrahl nicht gefährdet. Diese Expats und ihre weitere Entwicklung im Nachgang des Zeitsprungs sollen im Folgenden unter strenger Beobachtung stehen. Um diese Expats in die Gegenwart einzuführen und ihnen Ankommen und Anpassung zu erleichtern, wird jedem von ihnen ein Ministeriumsbeamter dauerhaft an die Seite gestellt, als „Brücke“ ins Hier und Jetzt.
So kommt es, dass die junge Dame mit Commander Graham Gore, First Lieutenant einer 1847 verschollenen Arktisexpedition, in einem vom Ministerium ausgesuchten Safe House Tags und Nacht zusammenlebt, um den Kulturschock abzufedern, ihm Fragen über das Heute zu beantworten – und insgeheim selbstverständlich Berichte einzureichen. Der ohnehin komplexe und unberechenbare Job wird zusätzlich durch den Umstand verkompliziert, dass sie einen ausgeprägten Crush auf Gore entwickelt. Dessen Anpassung an das Jetzt geht geradezu vorbildlich vonstatten. Jedoch beginnt die junge Frau, sich vermehrt Fragen darüber zu stellen, was sie, was das Ministerium hier eigentlich tut. Dann taucht auch noch plötzlich ein mysteriöser Brigadier mit seinem Gefährten auf, die ein unverhältnismäßiges Interesse an dem Projekt – insbesondere an Gore – zu haben scheinen. Schickt sie das Verteidigungsministerium? Je mehr Blicke hinter den Vorhang sich die junge Frau erlaubt, desto mehr wird klar: Hinter dem Zeitreiseportal, dem Ministerium und seinen Plänen steckt deutlich mehr, als anfangs angenommen – und die Tragweite bleibt nicht ohne Konsequenzen …
Er kam als Geschichte zu mir. Und dann lief die Geschichte aus dem Ruder
Jungautorin Kaliane Bradley wurde 1989 in London als Kind eines britischen Vaters und einer Khmer geboren, ein biografisches Detail, das sie auf ihre Hauptfigur in diesem Buch überträgt. Nach einem Abschluss in Englischer Literatur am UCL war sie für diverse Magazine tätig. Als sie während des Lockdowns die Serie The Terror schaute, inspirierte sie diese zu einer irren Idee. Daraus erwuchs schließlich unverhofft ihr hochgelobter Debutroman Das Ministerium der Zeit, nunmehr auch auf Deutsch bei Penguin erschienen.
„Geschichte ist keine Reihe von Ursachen und Wirkungen, die sich manipulieren lassen wie Züge, die wir auf ein anderes Gleis bringen. Geschichte ist eine narrative Übereinkunft über das, was passiert ist, und das, was passiert“
Und was für ein Debut das ist! Dieser wilde Genremix lässt sich in keine Schublade stecken: Sci-Fi-Thriller? Gesellschaftsroman? Slow-Burn Romantic Comedy? Was sich in der Theorie unvereinbar anhören mag, gelingt in der Umsetzung mit einer Leichtigkeit, die ihresgleichen sucht. Daraus entsteht eine höchst originelle Geschichte, die aufgrund ihrer Komplexität und zunehmenden Wendungen zwar volle Aufmerksamkeit erfordert, diese aber auch mit Substanz belohnt. Mit Gore gelingt Bradley das Porträt einer außergewöhnlichen Figur, die sich nicht nach Ausschlachtung einer tatsächlichen historischen Person anfühlt, sondern einen dreidimensionalen Menschen zeichnet, obwohl wir über ihn theoretisch kaum etwas wissen. Besonders unterhaltsam zu lesen sind die Annäherungen zwischen Vergangenheit und Gegenwart, Gores Versuche, diese neue Zeit zu verstehen und damit von ihr nicht nur Erklärungen, sondern auch Selbstreflektion einzufordern. Gleichzeitig bringt er mit seinem viktorianischen Charme frischen Wind ins schnelllebige 21. Jahrhundert. Die anderen Expats machen in Nebenrollen ähnliche, und doch jeweils ganz individuelle Prozesse durch, und zwischen manchen von ihnen entspinnt sich eine ergreifende Freundschaft. Bradley schildert das alles mit authentischer Ehrlichkeit und sehr viel leisem Humor.
„Die Zeit ist auch eine begrenzte Ressource. Wie alles andere. Jedes Mal, wenn du dir einen neuen Weg in die Zeit bahnst, verbrauchst du ein Stück davon“
Auch wenn die subtile „Will they? Won’t they?“-Romanze zwischen Gore und der Protagonistin einen immer wieder aufgegriffenen roten Faden bildet, ist sie dankbarerweise nicht der einzige Fokus der Geschichte. Herzstück bildet vielmehr die unerwartete philosophische Tiefe, die Bradley eröffnet. Anstatt „nur“ einen wilden Trip zu bieten, der verschiedenste literarische Gattungen miteinander kreuzt, nutzt sie ihre Prämisse auch, um große und spannende Fragen zu stellen. Wie sehr macht uns unsere Vergangenheit zu denen, die wir sind? Und wieviel Einfluss haben wir wirklich auf unsere Zukunft? Zugegeben, zum Ende hin, franst sich die Erzählung vielleicht in ein paar Gedankenexperimente zuviel aus, und die Zwischenkapitel, welche (im Gegensatz zum restlichen Narrativ interessanterweise im Präsens) Gores Expedition und ihr grauenhaftes Ende darstellen, sind zwar packend geschrieben, fügen der Story oder den Charakteren aber nicht Essenzielles hinzu. Das sind allerdings nur kleine Wehrmutstropfen bei einer Geschichte, die dermaßen viel zu bieten hat.
Fazit:
Das Ministerium der Zeit ist etwas für Fans von Jasper Fforde oder Douglas Adams. Im Grunde aber lässt es sich kaum vergleichen und macht sein ganz eigenes Ding. Kaliane Bradley ist ein Sci-Fi-Roman gelungen, der das Herz erwärmt, zum Lachen bringt und wirklich zum Nachdenken anregt. Man darf gespannt sein, was von der Autorin als nächstes kommt!

Kaliane Bradley, Penguin

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