Primeval 1: Im Schatten des Jaguars

  • Cross Cult
  • Erschienen: Januar 2009
  • 0
Primeval 1: Im Schatten des Jaguars
Primeval 1: Im Schatten des Jaguars
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Michael Drewniok
30°1001

Phantastik-Couch Rezension vonApr 2009

Schnappen, schnauben, Lesernerven rauben

Vorab einige grundsätzliche Informationen:

In den letzten Jahren des 20. Jahrhunderts begannen sich in England immer wieder „Anomalien" zu öffnen - Falten oder Risse im Raum-Zeit-Kontinuum, durch die man in die Vergangenheit oder Zukunft gelangt. Der Weg ist nach beiden Seiten offen; neugierige Dinosaurier, Riesenskorpione und andere Kreaturen der Vorzeit haben sich so ihren Weg in die Gegenwart gebahnt und für Entsetzen und viele Todesfälle gesorgt. Das britische Innenministerium richtete das „Anomaly Research Center" (ARC) ein. Unter der Leitung von James Lester rücken der Evolutionsbiologe Nick Cutter, der im Umgang mit Waffen geübte Stephen Hart sowie der Student Connor Temple und die Reptilien-Expertin Abby Maitland aus, sobald eine Anomalie gemeldet wird, um den Durchbruch hungriger Untiere zu verhindern oder bereits erfolgreiche Invasoren abzufangen.

Eine geheimnisvolle Macht arbeitet gegen die ARC-Gruppe: Helen, Cutters ehemalige Gattin, studiert die Anomalien schon seit Jahren. Sie hat Kontakt zu intelligenten Wesen aus der fernen Zukunft aufgenommen. Helens Ziele sind mysteriös, ihr Vorgehen skrupellos. Immer wieder kreuzen sich ihre und Cutters Wege, denn dieser weiß aus eigener Erfahrung um die Tücken der Anomalien: Er stammt aus einer Zeitlinie, in der es nie ein ARC gab. Offenbar verändern Reisen durch die Zeit die Gegenwart, was Helens unkontrolliertes Treiben umso gefährlicher macht ...

(Anmerkung: „Im Schatten des Jaguars" spielt zeitlich zwischen der 1. und 2. bzw. zu Beginn der 2. TV-Staffel.)

Das geschieht:

In Peru sind Cameron und Jaime, die beiden Söhne des britischen Staatssekretärs Sir Charles Bairstow, auf einer Expedition im dichten Regenwald der Region Madre de Dios verschollen. Wie der Zufall (bzw. Autor Steven Savile) spielt, erhält Professor Nick Cutter genau jetzt einen Hilferuf von seinem ehemaligen Studenten Nando Estevez, der als Biologe in der genannten Anden-Region tätig ist und dort immer wieder auf frische Knochen von Tieren stößt, die vor Jahrtausenden ausgestorben sind!

Hat sich in Peru erstmals eine Anomalie außerhalb Englands geöffnet? Cutter alarmiert sein Team. James Lester, Leiter des ARC, setzt es gen Südamerika in Bewegung. Sir Charles hat diesen Außeneinsatz möglich gemacht, nachdem Cameron schwer verletzt und im Delirium aus dem Dschungel taumelte. Eine gigantische Raubkatze habe seinen Bruder umgebracht, erzählt er, was die Theorie von einer Anomalie im Urwald von Madre de Dios unterstützt.

Auf Cameron Bairstow wird im Krankenhaus der Stadt Cusco ein Mordanschlag verübt. Eine unbekannte Macht will offensichtlich alle Zeugen des mysteriösen Vorfalls zum Schweigen bringen. Steckt wieder einmal Helen, Cutters undurchsichtige Ex-Gattin, hinter dem Anschlag? Da außerdem schwer bewaffnete Tierschmuggler und korrupte Regierungsbeamte in Madre de Dios ihr Unwesen treiben, werden Cutter und sein Team bald von allen Seiten attackiert ...

Das „Primeval"-Prinzip

Menschen lieben Monster, solange sie ihnen nicht in natura begegnen. Film und Fernsehen stellen sie uns im 21. Jahrhundert dank stetig entwickelter Spezialeffekte immer eindrucksvoller vor. Sogar im TV wirken sie nun schaurig-schön ‚echt‘, wenn sie - wie in „Primeval" üblich - unter Hinterlassung beträchtlicher Sach- und Personenschäden durch Wälder, über Straßen oder gar durch Städte schnauben und toben.

Aus der Konfrontation der Vergangenheit (repräsentiert durch in der Regel naturwissenschaftlich belegte Monster) bzw. Zukunft (vertreten durch fantasievoll ausgedachte Kreaturen) mit der Menschenwelt der Gegenwart schöpft „Primeval" sein Unterhaltungspotenzial. Vor allem in der ersten Staffel blieb es dabei, in jeder Woche einem neuen Ungetüm hinterherzujagen.

Obwohl sich inzwischen eine Verschwörungsgeschichte um die (freilich immer noch dominierende) Monsterhatz rankt, ist „Primeval" nie hintergründig oder gar originell und womöglich gerade deshalb so erfolgreich. Eine oberflächliche Figurencharakterisierung erhöht den Wiedererkennungswert. Gäbe es die erwähnte Verschwörung nicht, könnte man sich die Episoden der Serie ohne Verständnisprobleme in beliebiger Reihenfolge anschauen: Zu Beginn einer Folge öffnet sich eine Anomalie, unbemerkt schleicht meist vorzeitliches Leben heraus, macht sich gewalttätig bemerkbar, woraufhin Nick Cutter, unbestechlicher Ritter der Naturwissenschaften, sich mit Stephen Hart, Projektionsfigur für die Sehnsüchte der weiblichen Zuschauerschaft, dem trotteligen, für ‚komische‘ Verwicklungen zuständigen Connor Temple, sowie der niedlichen Jungmaid Abby Maitland, die als ‚neue Frau‘ entweder zuschlägt oder - ganz klassisch - gerettet werden muss, zum Ort des Geschehens eilt. Im Hintergrund treibt der garstige aber eigentlich taffe Lester bürokratische Spielchen, wobei ihm die ebenfalls hübsche Pressefrau Jenna Lewis zur Hand geht, wenn sie nicht dem anti-amourös teflonbeschichteten Cutter hinterher stöckelt. Im Hintergrund tückt Cutters Ex Helen und munkelt von einem ungeheuerlichen, sich über Zeit und Raum erstreckenden Projekt, in das sie auf sorgfältig fragwürdig gehaltene Weise verwickelt ist. Im Finale wird das Ungeheuer der Woche entweder zu Tode gebracht oder in seine Zeit zurückgescheucht, bevor sich die Anomalie schließt; Fortsetzung folgt wie gehabt.

Monsterhatz jetzt auch global!

Dass die Anomalien sich im Fernseher auf England beschränken, liegt am begrenzten Serienbudget, das Exkursionen an exotische Ort nicht gestattet. Der Schriftsteller ist an solche Grenzen nicht gebunden. Ihn hält eine wesentlich stärkere Kette: Niemals darf sich im „Primeval"-Roman etwas ereignen, das den Rahmen der „Primeval"-Fernsehserie sprengt! Was Cutter und seine Freunde in Peru und anderswo erleben, bleibt ohne Folgen. Sie werden nicht sterben oder sich auf Dauer fremdverlieben, sondern sich generell so verhalten, wie wir sie kennen. Faktisch kopiert Steven Savile nur das Bekannte, Bewährte und Beliebte von „Primeval": Das ist der Fluch des „Romans zur Serie", der immer nur „tie-in", d. h. einer von möglichst vielen Geschäftszweigen eines Franchises ist, zu dem sich auch „Primeval" gemausert hat.

Mit der 2008 gestarteten und fortgesetzten Buchreihe soll den „Primeval"-Fans noch ein bisschen mehr Geld aus der Börse gesogen werden. Inhaltliche oder formale Experimente sind deshalb weder erwünscht noch notwendig. Der Leser bekommt, was er erwartet: ‚Neue‘ „Primeval"-Abenteuer im alten Stil. Auf diesem Niveau hält „Der Schatten des Jaguars", was die Inhaltsangabe verspricht. Die folgenden kritischen Zeilen richten sich deshalb bevorzugt an diejenigen Leser, die auch von purer Unterhaltung ein bisschen mehr erwarten.

Abenteuer der vorgestanzten Art

Offen muss die Frage bleiben, ob ein talentierterer Autor als Savile mehr aus seinem Stoff herausgeholt hätte; wie das „CSI"-Franchise belegt, können richtig gute Romane auch am „tie-in"-Fließband entstehen. „Der Schatten des Jaguars" ist hingegen die übliche Routine. Der exotische Schauplatz ändert daran gar nichts.

Es hapert vor allem an der Umsetzung des Plots. „Der Schatten des Jaguars" bietet keine Handlung, die über 300 Seiten tragen könnte. Savile zieht sie künstlich in die Länge, ergeht sich in ellenlangen (und kruden, gern pathetischen) Beschreibungen, wo Andeutungen zur Orientierung des Lesers ausreichend wären. Er stellt uns ausführlich Figuren vor, deren Schicksal nicht interessiert, weil sie ohnehin abrupt aus dem Geschehen verschwinden. Nie geht es mit der Handlung stringent voran. Savile konstruiert Zwischenfälle, führt Cutters Crew unnötig in die Irre und verliert sich in Unwichtigkeiten: Was im Fernsehen zügig vorangeht, weil es binnen einer Dreiviertelstunde erzählt werden muss, wälzt sich als Roman träge dem Finale entgegen.

Schade, denn als Buch kommt „Im Schatten des Jaguars" nicht nur hübsch (bunt) gestaltet, sondern auch mit einem ausführlichen Interview daher: Autor Steven Savile äußert sich auf zwölf Seiten über seine Arbeit in den „tie-in"-Minen moderner Franchises. Die Informationen sind interessant und beantworten manche Frage, die sich dem Leser stellt, der sich über die grobe Machart dieses ersten „Primeval"-Romans wundert.

Anomalien einer Übersetzung

Der Lesespaß wird durch die holprige und wenig gelungene Übersetzung zusätzlich beeinträchtigt. Locker-flockig soll wohl sein, was nur salopp und schlampig wirkt: Ein teurer Brandy ist weder ein „Kurzer" (S. 16) noch ein „Gesöff" (S. 17), zusätzlicher Batteriestrom kein „Extra-Saft" (S. 53), und „ratzfatz" (S. 54) darf auch in einem für den raschen Verbrauch bestimmten Unterhaltungsroman das klassische „rasch" nicht ‚ersetzen‘.

Im 21. Jahrhundert ist es nicht nur politisch unkorrekt, sondern es berührt auch unangenehm, wenn den der englischen Sprache nur rudimentär kundigen peruanischen ‚Eingeborenen‘ der Wumba-Wumba-Sprech alter Tarzan-Filme aufgezwungen wird. Wenn Fahrer Eloy Stephens Klippensprung per Wingsuit kommentiert, klingt das in der ‚Übersetzung‘ so: „Du nicht fallen gerade runter wie Mann, der jagen Kojote?"

Ärgerlich sind echte, oft sinnentstellende Fehler, die ebenfalls so reichlich vorkommen, dass hier nur einige Beispiele herausgegriffen werden; sie sind - man möge es dem Rezensenten glauben - leider sehr repräsentativ, und die Liste kann auf Wunsch problemlos erweitert werden:

- Man lacht nicht „bitterlich" (S. 28), sondern höchstens „bitter".
- Die auf S. 23 mehrfach erwähnten „Essays" sollten korrekt mit „(wissenschaftliche) Abhandlungen" oder „Aufsätze" übersetzt werden, was im Kontext sogleich mehr Sinn ergibt.
- Wenn Stephen Hart auf S. 55 in einem „Sarg" nach Ausrüstungsgegenständen sucht, ist garantiert eine „Kassette" gemeint, die im Englischen ebenfalls „casket" genannt wird.

Im Wissen um diese Peinlichkeiten ist es nicht der Vorzeit-Jaguar, der den tiefsten Schatten auf diesen Roman wirft ...

Primeval 1: Im Schatten des Jaguars

Steven Savile, Cross Cult

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