Ken MacLeod

06.2007 Der schottische SF-Autor Ken MacLeod hat in seinem jüngsten Roman klar gemacht, welche politische Meinung er vertritt. Mit der Phantastik-Couch sprach er darüber, dass sein Buch jedoch kein generelles "Bush-bashing" sein soll und wie enttäuscht er von den USA und Großbritannien ist

Ich glaube immer noch, dass die Welt langfristig eine bessere wird!

Phantastik-Couch.de:
Ken, trotz der unerwarteten positiven Wendung beschreibst du in deinem neuen Buch unsere nächste Zukunft - oder mögliche Gegenwart - als einen Ort, an dem jeder so viel betrügt, wie er nur kann. Bist du ein Pessimist?

Ken MacLeod:
Ganz und gar nicht! Ich habe viel Hoffnung für die Langzeit-Zukunft der Menschheit. Es ist eher die nahe Zukunft - die nächsten paar Jahrzehnte -, für die ich Schwierigkeiten erwarte. Allein die beträchtlichen Möglichkeiten großer Umbrüche durch Umweltkrisen, kombiniert mit den wachsenden Spannungen zwischen den Supermächten und immer größeren Belastungen durch die boomende Weltwirtschaft zeigen, dass die Zukunft, die ich in "The Execution Channel" weit davon entfernt ist, die schlimmste aller möglichen zu sein.

Und so liegen die vielen Täuschungen im Buch daran, dass die meisten Figuren auf die eine oder andere Weise verdeckt arbeiten.

Phantastik-Couch.de:
Deine Protagonisten zeigen sich in vielen Situationen ausgesprochen enttäuscht darüber, was aus Amerika und Großbritannien geworden ist. Hast du einmal an eine bessere Welt geglaubt? Möglicherweise unter angloamerikanischer Führung?

Ken MacLeod:
Wie gesagt, ich glaube immer noch, dass die Welt langfristig eine bessere wird. Die Enttäuschung über Amerika und das Vereinigte Königreich, hat nichts damit zu tun, dass ich von diesen beiden Staaten jemals erwartet habe, dass sie die Welt in eine bessere Zukunft führen. Ich habe angenommen, dass in ihnen das Grundprinzip politischer Freiheit aufgrund ihrer bürgerlichen Revolutionen fest verdrahtet ist. Jetzt ist es offensichtlich, wie naiv das war. Die Vereinigten Staaten und das Vereinigte Königreich sind genau wie andere Staaten in der Lage, zu den Werkzeugen der Tyrannei zu greifen: Menschen verschwinden lassen, unbefristete Inhaftierung, Folter und der ganze Rest. Natürlich haben beide Nationen während ihrer imperialen Vergangenheit viel schlimmere Dinge als jetzt angestellt - der Unterschied ist aber, dass jetzt nicht weit weg und unbemerkt passiert, sondern ziemlich öffentlich im eigenen land oder von dort aus gesteuert. Das ist kein Totalitarismus, es ist weit davon entfernt, aber die breite Akzeptanz solcher Methoden ist beunruhigend.

Phantastik-Couch.de:
Die Kulisse von "The Execution Channel" ist ausgesprochen interessant: Anstelle von George Bush hat Al Gore die amerikanischen Präsidentschaftswahlen im Jahr 2000 gewonnen. Besser geworden ist dadurch nichts, stattdessen sind die Gräben tiefer als je zuvor und ein Weltkrieg droht auszubrechen. Unterstellst du damit, dass der wirkliche Mister Gore ein Heuchler ist?

Ken MacLeod:
Nein, das tue ich nicht. Mister Gore ist ein Politiker, der Kompromisse eingegangen ist, wie es alle Politiker müssen, aber ich keinen Grund, an seiner persönlichen Integrität zu zweifeln. Tatsächlich denke ich wirklich, dass die Welt eine andere und besser wäre, wenn Gore im Jahr 2000 gewonnen hätte. Aber worum es bei der Andeutung, dass es nicht so wäre, geht, ist, dass diese Dinge von viel stärkeren Kräften beeinflusst werden als der Persönlichkeit eines einzelnen Präsidenten. In der Praxis steht die Mehrheit der Demokratischen Partei im (amerikanischen, Anm. d. Übersetzers) Kongress ebenso hinter der Fortführung des Krieges (im Irak, Anmerk. d. Übersetzers) und seiner Ausweitung wie die Republikaner. Ich wollte nicht, dass das Buch als eine fiktive Form voreingenommener 'Bush-Beschimpfung' gelesen wird.

Phantastik-Couch.de:
In "The Execution Channel" geht es um den Informationskrieg, der bereits um uns herum tobt. Und wieder taucht Al Gore auf und spielt eine wichtige Rolle dabei: Seine Lobbying-Aktivitäten für das Internet führten zum so genannten Gore-Gesetz von 1991, das den ehemaligen Information Superhighway auch für eine breite Öffentlichkeit zugänglich machte. Heute berät Gore das Google-Management - nur die Spitze des Eisbergs?

Ken MacLeod:
Diese Art von Verschwörungstheorie interessiert mich nicht. Reiche und mächtige Leute sitzen in den gleichen Aufsichtsräten wie andere reiche und mächtige Leute. Na und? Das ist keine Verschwörung, das ist Kapitalismus. Es gibt echte verdeckte Operationen und echte Verschwörungen, die wichtig sind, aber sie bestimmen nicht den Lauf der Welt. Das tut niemand.

Phantastik-Couch.de:
Was ist schlimmer: Ein Rechter, der sozialistische Ideen für sich beansprucht, oder ein Sozialist, der mit den Rechten kungelt?

Ken MacLeod:
Es kommt auf den Kontext an. An sich ist keines von beiden schlecht. Wenn ich darüber nachdenke, hat man mir sogar schon beides vorgeworfen. Aber ernsthaft: Jeder, der darauf eine definitive Antwort geben könnte, müsste die komplette Geschichte des 20. Jahrhunderts verstehen. Mindestens.

Phantastik-Couch.de:
In deinem Buch kooperiert die CIA mit islamistischen Extremisten. Welcher Zweck würde solche Mittel heiligen?

Ken MacLeod:
Frag sie - sie tun es genau jetzt und schon seit langer Zeit. Die US-Unterstützung für die afghanischen Mujahedin, während der afghanischen Revolution und der 1980er Jahre - zum Teil von Saudi-Arabien finanziert und vom pakistanischen Militärgeheimdienst ISI organisiert - war die bislang größte US-Geheimdienstaktion. Brendan O'Neill beschreibt im "Spectator" und in "elsewhere", wie in den 1990ern hunderte, wenn nicht tausende dieser Mujahedin mit US-Duldung nach Bosnien und in den Kosovo geflogen wurden. Und heute, wie Seymour Hersh vor ein paar Monaten im "New Yorker" geschrieben hat, sind die USA mit Saudi-Arabien übereingekommen, die sunnitischen Jihadisten verdeckt zu unterstützen, dieses Mal, um dem iranischen Einfluss zu begegnen. Die 'Muj-Pipeline', auf die ich mich im Buch beziehe, habe ich mir nicht ausgedacht.

Phantastik-Couch.de:
Warum hast du Frankreich als letzten Hort von Integrität in Europa ausgewählt und nicht Deutschland?

Ken MacLeod:
Ich schäme mich fast es zu sagen, aber es liegt daran, dass ich noch nie in Deutschland war. Ich hätte den entsprechenden Szenen überhaupt kein überzeugendes Lokalkolorit geben können. Tatsächlich weiß ich über Deutschland viel zu wenig und verstehe noch viel weniger. Sagen wir mal, auf alle Fälle ist die Vorstellung eines leicht anti-amerikanischen Frankreich der nahen Zukunft nicht allzu weit hergeholt. Aber nur weil die Figur Travis Frankreich bewundert, weil es französisch ist, bedeutet das noch nicht, dass ich den Nationalcharakter anderer Länder herabsetze. Allerdings stimme ich mit ihm und seiner Tochter darin überein, England und Schottland herabzusetzen.

Phantastik-Couch.de:
Würdest du wie Travis für einen ausländischen Geheimdienst arbeiten?

Ken MacLeod:
Nein, natürlich nicht! Jeder kann sich ganz leicht imaginäre Situationen ausdenken oder sich an historische Ereignisse erinnern, in denen es gerechtfertig ist, so etwas zu tun. Travis' Situation gehört nicht dazu, aber ich hoffe, sie in einer Weise beschrieben zu haben, dass sie ihm so vorkommt.

Phantastik-Couch.de:
Blogs sind wichtige Instrumente der Information und Desinformation. Denkst du, dass sie eine Art Schwarmintelligenz bilden, die zum Ärger von MI5 und Co. immer wichtiger werden?

Ken MacLeod:
Blogs sind nur ein Teil des Schwarms. Immer mehr Dokumente, Artikel, Videos und Tonmaterial sind im Internet verfügbar. Es hätte früher Monate, wenn nicht sogar Jahre gedauert, die Verbindungen zwischen Fakten herzustellen - heute geht das mit einer gut formulierten Google-Suche. Natürlich muss man wissen, wie es geht, und darf dabei auch nicht vergessen, dass möglicherweise jemand die Suche manipuliert. Und falls man ignorant oder voller Vorurteile daran geht, kommt man wahrscheinlich zu keinem besseren Ergebnis. In seinem Roman "Schwere Wetter" beschreibt Bruce Sterling eine Szene, die genauso ein Problem vorwegnimmt: Ein Obdachloser, der einen Handheld-Computer besitzt, auf dem sich die gesamten Bestände der amerikanischen Kongress-Bibliothek und eine Suchmaschine befinden, die er wie besessen abfragt. Er ist einer von vielen, die in die endlose Suche nach Verbindungen regelrecht gesaugt wurden, um immer elaboriertere Verschwörungstheorien zu entwerfen.

Phantastik-Couch.de:
Was ist deine Meinung zur Zukunft des Internets? Wird es eine schöne neue Welt, kontrolliert von Googlezon?

Ken MacLeod:
Ein Spruch des Cyberpunk war, ich glaube, aus einem Roman von William Gibson: "Die Straße findet ihre eigene Verwendung für die Dinge". Vor zwei Jahren habe ich auf einer SF-Convention gesagt, dass die User immer ihre eigene Verwendung für die Dinge finden. Aber das Internet ist sehr schwer zu kontrollieren - "Das Netzt interpretiert Zensur als Schaden und steuert um ihn herum", um einen anderen alten Spruch zu zitieren. Meine Meinung ist, dass große Konzerne und Regierungen weiter versuchen werden, es zu kontrollieren, Nutzer und Hacker aber immer Wege finden werden, den Kontrollen auszuweichen. Das ist ein bisschen wie an der Börse: Sobald eine Form des Handels reguliert wird, erfinden die Händler neue Finanzinstrumente, auf die das Gesetz nicht gekommen ist.

Phantastik-Couch.de:
Könntest du ohne Internet und Computer leben, und deine Bücher mit der Schreibmaschine schreiben?

Ken MacLeod:
Ja, doch, aber es wären sicher andere Bücher. Vielleicht sogar besser. Aber es wäre schwierig, einen modernen Science-Fiction-Roman ohne einen Internetzugang zu schreiben.

Phantastik-Couch.de:
Welche Autoren haben deine Arbeit an "The Execution Channel" beeinflusst?

Ken MacLeod:
Auf der SF-Seite waren das J. G. Ballard und einige der alten britischen Katastrophenromane. Manche der Spionagethriller-Elemente entstanden unter dem Einfluss von John le Carré. Was die Verschwörungen und die Desinformation angeht, so habe ich aus der jahrelangen Lektüre der britischen Zeitschrift "The Lobster", die von Robin Ramsay herausgegeben wird, geschöpft. Sie behandelt solche Themen in einer vernünftigen und interessanten Weise.

Phantastik-Couch.de:
Warum hast du nach zahlreichen Space Operas und Hard-SF-Romanen einen Near-Future-SF-Thriller geschrieben?

Ken MacLeod:
Ich hatte das Gefühl, erstmal so viel Space Operas geschrieben zu haben, wie ich wollte. Und dass Politik der nahen Zukunft ohne obskure politische Gruppierungen interessant sein könnte, auch für einen größeren Leserkreis. Im Grunde war da der Ärger über den Zustand der Welt, der sich seit ungefähr zehn Jahren angestaut hatte und den ich nie einem Roman verarbeitet habe - hier ist er also.

Phantastik-Couch.de:
Wie kamst du dazu, Science Fiction zu lesen? Wie zum Schreiben?

Ken MacLeod:
Als ich ein Junge war, habe ich Science Fiction gelesen, ohne einen Unterschied zu anderen Abenteuergeschichten zu machen. Als junger Teenager las ich "Rocket to Limbo" von Alan E. Nourse. Das ist ein Roman mit allen "Golden Age"-Zutaten: Generationenraumschiffe, Reisen mit Überlichtgeschwindigkeit, Psi-Kräfte. Ich hing sofort am Haken und machte mich daran, jeden Science-Fiction-Roman zu lesen, den ich den Bibliotheken und Antiquariaten meiner Heimatstadt Greenrock finden konnte. Und wie viele Fans, habe ich auch versucht, SF zu schreiben - sehr schlechte allerdings. Eine dieser schlechten Geschichten habe ich an "New Worlds" geschickt, Hilary Bailey, die Herausgeberin, schickte sie mit einer freundlichen Absage zurück. Später habe ich ein paar Kurzgeschichten bei dem britischen SF-Magazin "Interzone" eingereicht, gnädigerweise wurden sie alle abgelehnt. Dann, 1987, ich war Mitte 30, begann ich an meinem ersten Roman zu arbeiten. Ein Grund dafür war, dass ich meinem Freund Iain Banks jahrelang von meinen Ideen für SF-Romane erzählt hatte. Schließlich sagte mir ein gemeinsamer Freund, dass es ihm langsam auf die Nerven ging, weil er wusste, dass ich diese Romane schreiben könnte, wenn ich mich einmal richtig daran setzen würde. Das habe ich dann gemacht.

Phantastik-Couch.de:
Kennst du deutsche SF-Schriftsteller? Falls ja: Welche liest und magst du?

Ken MacLeod:
Überhaupt keine, tut mir leid!

Phantastik-Couch.de:
Und was liest du zurzeit?

Ken MacLeod:
Eine Menge guter Science Fiction der letzten Jahre, die ich bereits hätte lesen sollen, es aber nicht getan habe. Das ist sehr peinlich, weil ich die Autoren kenne! Denk' einfach an gute Bücher aus letzter Zeit und nimm an, dass sie auf meiner Liste stehen, ok? Abgesehen davon lese ich zurzeit einen Roman von Somerset Maugham, "Der Menschen Hörigkeit", und ein dickes Buch namens "Studies in Mutualist Political Economy", von dem amerikanischen Anarchisten Kevin Carson.

Phantastik-Couch.de:
Und was gibt es als nächstes von Ken MacLeod?

Ken MacLeod:
Ich arbeite an einem Roman mit dem Arbeitstitel "The Night Sessions", darin geht es um religiösen Terrorismus in einer Welt, die sich größtenteils von der Religion abgewandt hat.

Phantastik-Couch.de:
Vielen Dank für dieses Gespräch, Ken!

Ken MacLeod:
Vielen Dank für die Gelegenheit dazu. Und alles Gute für diese Site und ihre Leser.

Das Interview führte Carsten Kuhr im August 2018.
Foto: © Ju Honisch

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