Ralf Isau

04.2013 Ralf Isau kann man schon fast als ein Urgestein der modernen deutschen Phantastik bezeichnen. Von Michael Ende einst entdeckt, schreibt er seit 20 Jahren „Phantagone“ wie er sie nennt – Geschichten, die Brücken zu Wundern der realen Welt erschaffen. Nachdem Isau einige realitätsbezogenere Werke verfasst hat, kehrte er zur High-Fantasy zurück – und erschuf mit der „Zerbrochenen Welt“ wieder etwas vollkommen Eigenes. Wir fragten den Autor, warum er sich hartnäckig den gängigen Trends entzieht, wie er die Trennung von Phantastik-Literatur für Erwachsene und im Jugendbuch beurteilt und was er von Leserrezensionen hält.

Im Web kommen verstärkt die Leute zu Wort, die Phantastische Literatur mit dem Bauch erleben. So manche Leser-Rezi hat mehr Substanz als die Waschzettelabschreibsel in der Tagespresse.

Phantastik-Couch.de:
Nach einer „Mystery-Phase“ ("Die Dunklen", "Messias") vor einigen Jahren, haben sie sich in den letzten beiden Jahren mit der Trilogie “Die zerbrochene Welt" wieder der High-Fantasy zugewandt. Kurioserweise hat ihr Verlag Piper ein zweites Mal ein Fantasy-Epos rund um das "Splitterweltenthema", von Michael Peinkofer geschrieben, veröffentlicht. Wie kam es zu der Trilogie um die "Zerbrochene Welt"? Kam die Grundidee von Piper?

Rals Isau:
Die zerbrochene Welt ist ganz allein mein Baby. Piper fragte mich lediglich, ob ich nicht mal wieder Lust hätte, High Fantasy zu schreiben. Ich wollte eine neue Idee entwickeln. Eine Welt, wie sie kaum ein Leser in seiner Fantasie je bereist hat. So entstand die Idee zur zerbrochenen Welt Berith. Nachdem ich mich mit dem Verlag über das Konzept zur Trilogie geeinigt hatte, legte Michael sein Exposé vor. Wir beide kamen überein, dass unsere Geschichten eigenständig nebeneinander existieren können. In der Phantastischen Literatur wurden immer wieder ähnliche oder sogar gleiche Stoffe von unterschiedlichen Autoren auf ihre eigene Weise erzählt.

Phantastik-Couch:
Herr Isau, wenn man sich Ihre Bibliographie anschaut, fällt auf, dass sämtliche Phantastik-Trends der letzten Jahre scheinbar spurlos an Ihnen vorbeigegangen sind. Wie kommt das? Nie in Versuchung geraten, Tolkien´ sche Fantasy, Romantasy oder auch Steampunk zu schreiben?

Ralf Isau:
Ich bin nie Trends hinterhergelaufen. Seit jeher schreibe ich über Themen, die mich interessieren. Viele Romane haben einen historischen Hintergrund, der von Ereignissen der jüngeren Geschichte wie dem Fall der Berliner Mauer bis in die Antike reicht. Auch wissenschaftliche Themen und Wertefragen interessieren mich. Der rote Faden, der sich durch mein Werk zieht, ist das Anstiften zum Selberdenken. Das verlernt man leichter als gedacht, wenn man sich durch die Massenmedien alles vorkauen lässt. Indem ich bekannte Ereignisse und Erkenntnisse aus neuen Perspektiven beleuchte, erweitere ich den Blickwinkel meiner Leser. Das macht mir Spaß. Andere nachzuahmen gehört nicht zu meinen Leidenschaften.

Phantastik-Couch.de: Sie haben ihre Scherbenwelt, die ja schon recht exotisch ist, absolut plastisch und detailreich zum Leben erweckt. Wie lange haben Sie für den Weltenbau gebraucht? Wie gehen Sie dabei vor?

Ralf Isau:
Ich habe kein Logbuch geführt, aber schätzungsweise zwei bis drei Monate wird der Weltenentwurf schon gedauert haben. Das erkennt man an dem Berith-Lexikon, das mit jedem Band länger wird. Die Entwicklung von Berith erfolgte schrittweise. Jede Insel hat ja ihre eigene Kultur, Bevölkerung, Flora und Fauna. Hinzu kommen die vielfältigen Geistesgaben. Das schüttelt man nicht mal so eben aus dem Ärmel. Die Welt ist mit der Geschichte gewachsen: Scherbe für Scherbe, Insel für Insel.

Phantastik-Couch.de: Sie lassen in der Zerbrochenen Welt Heldinnen agieren, was in der Fantasy nicht selbstverständlich ist. War es Ihnen ein besonderes Anliegen, starke und interessante Frauen zu erschaffen? Hilft Ihnen ihre Ehefrau oder ihre Tochter bei der Ausgestaltung ´frauentypischer´ Details?

Ralf Isau:
Seit jeher macht es mir Spaß, Klischees zu hinterfragen. In meinem ersten Buch „Der Drache Gertrud“ war eine im Herzen gutmütige Drachendame die Hauptfigur. Auch mit den Klischees der Geschlechterrollen spiele ich gerne. Deshalb war in meinem "Museum der gestohlenen Erinnerungen„ Jessica der Computerfreak und ihr Bruder Olliver der Schöngeist. In “Die Dunklen" haben wir mit Sarah d’Albis ebenfalls eine starke Frau als Protagonistin. Diese Figuren mögen von realen Vorbildern inspiriert sein, sind aber reine Fantasiegebilde. Meine Frau ist meine Event-Managerin: Sie koordiniert meine Lesungen und anderen Veranstaltungen. Ab und zu hilft sie mir beim Recherchieren. Aus der kreativen Arbeit hält sie sich völlig heraus. Meine Tochter verfolgt ihre eigenen kreativen Projekte auf ihrer Website artedomo.eu. Sie ist Malerin.

Phantastik-Couch.de: Auf der Buchmesse in Leipzig stellen Sie Ihren neuen Roman „Die Masken des Morpheus“ vor, wieder eine Geschichte, die Phantastik und Historie verbindet. Mögen Sie uns ein wenig über das Buch erzählen?

Ralf Isau:
"Die Masken des Morpheus„ spielt 1793, als die Französische Revolution Europa umkrempelte. Im Mittelpunkt der Handlung steht Arian Pratt, ein 17 Jahre alter Seiltänzer und Puppenspieler. Bei einer Vorführung vor der Londoner Westminster Abbey berührt ihn ein etwa sechzigjähriger Mann an der Hand. Im nächsten Moment befindet sich Arian im Leib des Alten. Der seinerseits macht sich mit dem jungen Artistenkörper aus dem Staub. Bald merkt Arian, dass auch er ein Swapper geworden ist: Eine kurze Berührung mit bloßer Haut genügt und er tauscht mit anderen den Körper. Mira, eine schöne Swapperin in seinem Alter, schließt sich ihm bei der Verfolgung des “Seelendiebs" an. So beginnt für die beiden eine abenteuerliche Parforcejagt, die sie mitten in die Wirren der Französischen Revolution hineinführt. Obwohl Arian äußerlich ziemlich alt aussieht, kommen sich die beiden näher. Fast ein bisschen wie bei der Schönen und dem Biest. Wie die Sache ausgeht, muss man unbedingt gelesen haben.

Phantastik-Couch.de:
Sie schreiben kontinuierlich sowohl Jugendbücher, als auch Phantastik für erwachsene Leser. Beeinflusst die geplante Zielgruppe das Schreiben?

Ralf Isau:
Sicher. Bei der Themenwahl, der Figurenentwicklung und der Dramaturgie muss man die Zielgruppe im Auge behalten. Gleichwohl bemühe ich mich All age zu schreiben, also die Grenzen zwischen Jugendbuch und Belletristik fließend zu gestalten.

Phantastik-Couch.de:
Inwieweit finden Sie eine Trennung von Jugendbüchern und Büchern für Erwachsene im Fantasy-Bereich sinnvoll?

Ralf Isau:
Für mich persönlich finde ich sie manchmal eher hinderlich. Deshalb findet man das Wort „Erwachsenenroman“ auf meiner Website www.isau.de fast immer in Anführungsstrichen. Weil die Phantastik im Allgemeinen zunehmend gewaltbetont, okkult und bisweilen auch pornografisch wird, sollte man meiner Ansicht nach jüngere Leser von den schlimmsten Auswüchsen dieser Entwicklung schützen. Wenn Erwachsene sich derlei antun wollen, ist das ihre freie Entscheidung.

Phantastik-Couch.de:
Wie beurteilen Sie in den letzten Jahren die Entwicklung des Stellenwerts phantastischer Literatur in Deutschland? Erkennen Sie einen Aufwärtstrend? Oder werden Phantastik-Autoren immer noch nicht ernst genommen?

Ralf Isau:
Aus meiner Sicht hat die deutsche Phantastik im letzten Jahrzehnt einen großen Sprung nach vorne getan. Nicht immer qualitativ - in der Masse fehlt oft die Klasse. Das ist aber in allen Literaturgattungen und Lebensbereichen so. Mittlerweile hat der Leserkreis etlicher deutscher Autoren eine Größe erreicht, die sich früher nur englischsprachige Schriftsteller erschrieben haben. Phantastik-Preise wie der Seraph dokumentieren die gewachsene Wahrnehmung der Phantastischen Literatur. Diese Entwicklung geht nicht unbedingt mit einer größeren Anerkennung der Autoren einher. Allzu oft rümpfen phantastikresistente Leser immer noch über uns die Nase.

Phantastik-Couch.de:
Im Jahr 2006 haben Sie einen interessanten Essay verfasst „Hassliebe auf Raten – Der Schriftsteller und sein Kritiker“. Hier beschreiben Sie, welche Art von Kritik Sie ärgert und warum. Nun gibt es ja heute eine nahezu nicht zu überschauende Anzahl an „Bloggern“, Rezensionsportalen und die Leserrezensionen bei amazon.de. Ist diese stark expandierende Anzahl an Buchrezensionen eher ein Fluch oder Segen für Autoren?

Ralf Isau:
Mir gefällt das. Oft sind professionelle Rezensenten zu verkopft. Manche mögen die Phantastik nicht einmal und mit dieser inneren Abneigung zerreißen sie dann das Buch – manchmal, ehe sie es gelesen haben. Im Web kommen verstärkt auch die Leute zu Wort, die Phantastische Literatur mit dem Bauch erleben. So manche Leser-Rezi bei Amazon hat mehr Substanz als die Waschzettelabschreibsel in der Tagespresse.

Phantastik-Couch.de:
Im letzten Jahr gründeten Sie eine Agentur für Textentwicklung mit dem Namen „Phantagon“. Was versteht man genau darunter und was bieten Sie Ihren Kunden an?

Ralf Isau:

Ich nenne Phantagon eine Agentur für Textentwicklung und Sprachkultur. Mir sind zwei Dinge aufgefallen: Erstens sind zu viele Gebrauchstexte - Internetseiten, Anzeigen, TV- und Funkspots usw. - grottenschlecht. Sie langweilen ihr Publikum und erfüllen damit den Tatbestand der Beleidigung. Ihnen (und der Unehrlichkeit) verdankt die Werbung ihren schlechten Ruf. Und zweitens: Einige Entwicklungen am Buchmarkt, darunter die zunehmende Fokussierung auf Bestseller, sind Gift für die kreative Freiheit der Berufsautoren. Bei einigen brechen die Einnahmen dramatisch weg, sodass sie sich neu orientieren müssen. Bei Phantagon möchte ich beide Problemfelder zusammenführen, frei nach der Devise Minus mal Minus ergibt Plus. In der Agentur können Autoren das tun, was ihnen am liebsten ist: schreiben. Sie erhalten sich die finanzielle Unabhängigkeit, um weiterhin gute Bücher zu schreiben. Und weil sie Wortjongleure sind, fördern sie auch noch die deutsche Sprachkultur. In unserem Portfolio auf phantagon.com findet man die ganze Bandbreite unserer Leistungen. Sie reicht von Biografien und Imagebüchern bis zu PR-Artikeln, Werbetexten und Content für Internetseiten.

Phantastik-Couch.de:
Vielen Dank, Herr Isau, dass Sie sich Zeit für ein Interview mit Phantastik-Couch.de genommen haben!

Ralf Isau:
Gerne. Herzliche Grüße an unsere Leser.

Das Interview führte Eva Bergschneider im März 2013.

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