Treibgut – H.P. Lovecrafts Schriften des Grauens 26

  • Blitz
  • Erschienen: Mai 2022
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Treibgut – H.P. Lovecrafts Schriften des Grauens 26
Treibgut – H.P. Lovecrafts Schriften des Grauens 26
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Michael Drewniok
65°1001

Phantastik-Couch Rezension vonJun 2023

Der Untergang des Hauses Ravenloft

Ein Sturm wirft im schon fortgeschrittenen 19. Jahrhundert das Handelsschiff „Mary Dayne“ auf tückische Klippen vor der nordneuenglischen US-Küste nahe Rhode Island. Es sinkt mit Mann und Maus, nur Howard Peter Scott, der Kapitän, wird von den Fluten an den Strand geworfen. Mit letzter Kraft schleppt er sich zu einem hoch über den Klippen erbauten Haus.

Dort findet er sich als Gast des Gentleman Edgar Anton Ravenloft wieder. Er ist das Oberhaupt einer einst angesehenen Familie, die ihren Einfluss, ihren Ruf sowie ihr Vermögen verloren hat. Möglichst weit entfernt von der Gesellschaft, die ihn schneidet, hat Ravenloft sein Haus errichten lassen. Dort brütet er über Plänen, die der Rehabilitation der Familie dienen sollen.

Ravenloft ist ein kranker, womöglich verwirrter Mann. Das große Haus teilt er mit seiner ebenfalls gesundheitlich angegriffenen, blinden Schwester Margret Ann, dem mysteriösen Dr. Livotti und den beiden unheimlichen Diener-Zwillingen Ralph und Charles. Viele Räume sind von der Witterung zerstört und unzugänglich; es fehlt das Geld für Reparatur und Instandsetzung.

Zu allem Überfluss spukt bei den Ravenlofts der Geist einer Indianerfrau, die Edgars Großvater einst grausam getötet hat. Scott wird ebenfalls von dem Spuk heimgesucht, doch stärker beschäftigt ihn Livotti, der offenbar ein ‚Labor‘ im Keller verbirgt. Was er dort ‚erforscht‘, bleibt erst einmal sein Geheimnis, nachdem Scott einen heimlichen Versuch, ihm auf die Schliche zu kommen, nur knapp überlebt: Rattenschwärme bevölkern den Untergrund. An der Oberfläche munkeln ebenfalls gefährlich kostümierte Gestalten. Trotz aller Schwierigkeiten kommt Scott einem monströsen Komplott auf die Spur. Allerdings wird er sein Wissen wohl in ein frühes Grab mitnehmen ...

Lovecraft und seine Epigonen

Mit dem Cthulhu-Mythos, der das nur ansatzweise menschenverständliche Treiben kosmischer Wesenheiten beschreibt, die in einem seit Äonen tobenden Krieg verstrickt sind, gelang Howard Phillips Lovecraft (1890-1937) ein zentrales Werk der modernen Phantastik. Nach seinem frühen Tod lebten Cthulhu & Co. weiter. Sie hatten eine faszinierte Leserschaft gewonnen, unter denen sich auch Autoren befanden. Schon bald entstanden neue Storys und Romane im Lovecraft-Stil. Im 21. Jahrhundert ist Lovecraft in sämtlichen Medien präsenter denn je.

Einigen der Epigonen ist es gelungen, den Mythos zu entwickeln und ihm neue Aspektebenen abzugewinnen. Die Mehrheit der Autoren klebt allerdings an der Vorlage. Die typische Struktur einer Cthulhu-Story von Lovecraft ist trügerisch simpel; er hat selbst ausführlich die Mechanismen seiner Schriftstellerei beschrieben. Dass deren Kenntnis und Anwendung keineswegs eine gute Horrorgeschichte garantiert, wird als Tatsache hartnäckig ignoriert. Dem ‚verdanken‘ wir eine Flut nur unfreiwilliger schauerlicher Lovecraft-Pastiches aus den USA und anderen Ländern.

Hierzulande fand Lovecraft erst spät eine beachtliche Schar von Nachahmern; es mag mit dem Erlöschen des Copyrights zusammenhängen, was es möglich macht, Cthulhu lizenzfrei durch Raum und Zeit toben zu lassen. Zudem eröffnet die digitale Technik Möglichkeiten, Werke in kleinen Auflagen kostengünstig drucken zu lassen. Dies ließ auch die im „Blitz“-Verlag erscheinende Reihe „Lovecrafts Schriften des Grauens“ entstehen, die bereits mehrere Dutzend Bände umfasst; „Treibgut“ ist Nr. 26.

Howard, wo bist du?

Gemeinsam ist diesen „Schriften des Grauens“ das Spiel mit Lovecraft-Elementen. Die Spreu ist dichter als der Weizen, weshalb die Ergebnisse qualitativ durchwachsen bleiben. Dies soll kein Vorwurf sein, denn die „Schriften“ verleugnen nicht ihre Nähe zu Pulp oder Trash (bzw. Sex & Splatter, was sich auch in „Treibgut“ niederschlägt). Meist bringt zumindest die direkte Kopie die Talentarmut der meisten Autoren deutlich an den Tag: Der scheinbar so ‚simple‘ Lovecraft wusste sehr genau, was er auf welche Weise beschreiben oder heraufbeschwören wollte. Dies war mehr als Handwerk, sondern harte Arbeit, an die nur wenige Autoren anknüpfen können.

Besser läuft es, wenn der Fokus erweitert wird. „Treibgut“ erinnert an Lovecraft, aber auch an Edgar Allan Poe (1809-1849), wie schon Ravenlofts Vorname andeutet. Poe hat mit „Der Untergang des Hauses Usher“ (1839/40) zweifellos Pate für dieses Garn gestanden. Ebenfalls inspiriert wurde Autor Korb wohl durch den Horrorklassiker „The Terror - Schloss des Schreckens“, den Regisseur und Produzent Roger Corman 1963 mit Jack Nicholson und Boris Karloff in den Hauptrollen drehte; darüber hinaus lassen sich viele weitere Einflüsse feststellen.

In einem Nachwort schildert der Verfasser die Entstehungsgeschichte dieses Romans. Er hat ihn bereits Anfang der 2000er Jahre binnen weniger Tage niedergeschrieben; veröffentlicht wurde er nach langer Schubladen-Haft erst zwei Jahrzehnte später. Das freut den Autor, während der Leser kritischer urteilt: Lektüre soll unterhalten. Ein gewichtiges Qualitätsmerkmal ist der berühmte „rote Faden“, der die Episoden der Handlung zusammenhält. Hier wirft er Schlingen und hängt mehrfach schlapp durch; „Treibgut“ ist auch deshalb ein passender Titel, weil wir mit einem Sammelsurium von Ideen konfrontiert werden, die wie Kapitän Scott von der See grob an den Strand geschleudert werden.

Der Zufall macht Überstunden

So will sich der ‚Lovecraft‘-Faktor nur bedingt in eine Geschichte fügen, die auch ohne ihn auskäme. Tatsächlich wirken die Erwähnung (essbarer!) Fischmenschen oder ein Blitzbesuch des Meeresgottes Dagon wie pflichtschuldige Einschübe, um dem Reihentitel zu genügen. Lovecraft schimmert vor allem durch, wenn Korb „Treibgut“ als Reminiszenz an dessen frühe Erzählung „Arthur Jermyn“ („Facts Concerning the Late Arthur Jermyn and His Family“, 1921/1924) gestaltet, der die Dekadenz einer allzu alten Familie thematisiert. Doch Korb bürdet dem Plot zu viele Handlungsstränge auf, die sich nicht verbinden wollen. Dies stört vor allem in einem Finale, das nicht stringent entfesselt wird, sondern von Höhepunkt zu Höhepunkt springt und überhaupt nur funktioniert, weil der Verfasser urplötzlich einen ‚Wurm‘ mit hirnmanipulierenden Fähigkeiten auftauchen lässt (Margret Ann Dax?).

Als das Drama längst sein Ende gefunden hat, hängt Korb noch einen Zweikampf zwischen Scott und den Diener-Zwillingen an, zwei Nebengestalten, die dieses Duell, das sich über viele Seiten hinzieht, absolut überflüssig macht. Zuvor tauchten ebenfalls aus dem Nichts Mitglieder des lokalen Ku-Klux-Klans (!) auf (was darauf hindeutet, dass unsere Geschichte nach dessen Gründung 1865 spielt); ihr Erscheinen bleibt Effekthascherei. Die Ravenlofts und Dr. Livotti liefern sich ein ehrgeiziges Kopf-an-Kopf-Rennen, um hanebüchene, möglichst umständliche und garantiert erfolglos bleibende ‚Pläne‘ zu schmieden: Hier findet die „Phantastik“ dieses Romans ihren Höhepunkt.

„Treibgut“ kann durch einen angenehm lesbaren Stil punkten. Die Sprunghaftigkeit einer überkomplizierten Handlung kann dies nicht wettmachen, aber mildern, sodass man die gelungenen Passagen sowie die atmosphärischen Beschreibungen des düsteren Hauses über stets sturmumtosten Klippen ungeachtet gar zu plötzlich hereinpolternder Grobeffekte genießen kann.

Fazit:

Locker an Lovecraft (und Poe) anknüpfender Horror, der zwischen stimmungsvollem Grusel und tropfigem Splatter-Trash schwankt und dessen Story durch überflüssige Nebenhandlungen geschwächt wird: lesbar für die Fans des ‚pulpigen‘ Schreckens, die sich zudem über ein schön gestaltetes Taschenbuch freuen können.

Treibgut – H.P. Lovecrafts Schriften des Grauens 26

Markus K. Korb, Blitz

Treibgut – H.P. Lovecrafts Schriften des Grauens 26

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