Berge des Verderbens – H.P. Lovecrafts Schriften des Grauens 31

  • Blitz
  • Erschienen: April 2023
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Berge des Verderbens – H.P. Lovecrafts Schriften des Grauens 31
Berge des Verderbens – H.P. Lovecrafts Schriften des Grauens 31
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Michael Drewniok
65°1001

Phantastik-Couch Rezension vonJul 2023

Die ganz & gar nicht glorreichen Sieben

Irgendwo im Südwesten der USA liegt in Sichtweite hoher Berge Gallows Hill, ein Nest, in dem der Westen in diesen frühen Jahren des 20. Jahrhunderts wild geblieben ist, weshalb es Banditen, Außenseiter und gescheiterte Existenzen in die (buchstäblich) gottverlassene Landschaft zieht.

Auf einer kümmerlichen Farm außerhalb der ‚Stadt‘ lebt die Witwe Gardner mit ihrem halbwüchsigen Sohn Thaddeus. Eines Tages schleppt sich ein schwerbewaffneter Mann mit letzter Kraft vor das Haus. Vor wem Randolph Carter auf der Flucht ist, will er nicht sagen. Er vertraut Thaddeus sein Pferd und ein uraltes, seltsames Buch an, das keineswegs in die Hände seiner Verfolger fallen darf, deren Herren - so viel stellt Carter immerhin klar - nicht von dieser Welt stammen und Böses mit der Erde und den Menschen planen.

Kurz darauf bricht ein unheimlicher Sturm über die Farm herein. Die Verfolger erscheinen, doch Thaddeus kann ihnen entkommen. In Gallows Hill informiert er Sheriff Frank Morgan, der mit einigen Männern zur Farm reitet, dort nur blutverschmierte Trümmer findet und beschließt, die Mörder zu verfolgen. Deputy Peaslee und James Linwood, der Arzt des Ortes, reiten mit ihm. Außerdem dabei sind der undurchsichtige John Legrasse, angeblich ein Mitarbeiter der Pinkerton-Agentur, und drei Abenteurer. Da die Spur in die Berge führt, heuert Morgen den indianischen Scout Atal an.

Die Expedition steht unter keinem guten Stern. Je weiter man in die Berge vordringt, desto stärker mehren sich die Anzeichen für übernatürliches Treiben. Untereinander ist die Gruppe zerstritten. Dennoch geht die Suche in dem Labyrinth brüchiger Felsen weiter, bis sich eine längst gestellte Falle hinter den Eindringlingen schließt ...

Rauchende Colts & schleimige Monster

Horror im US-amerikanischen Wilden Westen? Ist dies möglich bzw. unterhaltsam? Auf den ersten Blick scheinen die beiden Genres denkbar weit voneinander entfernt zu sein. An Spuk denkt man nicht, wenn vor dem geistigen Auge ‚Macher‘ wie Cowboys, Revolverhelden, Siedler und Indianer das weite Land entweder erobern oder verteidigen. Doch man vergisst über dem daraus entstandenen Mythos leicht, dass der „Wilde Westen“ mehr als ein Spielplatz für pulver- und bleihaltige Abenteuerstorys ist. Dieses Kapitel der US-Vergangenheit ist reich an realen Ereignissen, die dramatisch, tragisch oder eben auch unheimlich sein können.

Tatsächlich gibt es seit jeher Erzählungen, in denen es im Wilden Westen umgeht. Ambrose Bierce (1842-1913/14) sei hier exemplarisch genannt, doch nicht nur er fand Orte, die prädestiniert für übernatürliches Treiben waren. Entweder war hier Grässliches geschehen, das einfach nicht ruhen wollte, oder es gab Stätten, am denen per se „das Böse“ hauste.

Western und Horror wurden sogar in der deutschen Populärkultur miteinander verflochten. Diese kennt keine ‚literarischen‘ Vorbehalte, sondern nur die Suche nach dem gemeinsamen Nenner = der Geldbörse des Kunden. Heutzutage dämmert der Western in einer Nische vor sich hin, doch in der großen Zeit des Heftromans dominierte dieses Genre den Markt. Warum es nicht mit dem Horror kreuzen, der ebenfalls seine Leserschaft hatte. Also erschienen 1975/76 im Bastei-Lübbe-Verlag „Geister-Western“; 30 Bände, verfasst unter ‚amerikanisch‘ wirkenden Pseudonymen von deutschen Vielschreibern. Die Serie gilt einerseits als Blindgänger, aber andererseits als (bizarre) Blüte des (deutschen) Trivialromans.

Die Brut des Bösen

„Anton Serkalow“ ist das Pseudonym eines Autors, der die Tradition des Horror-Westerns (oder Western-Horrors) aufleben lässt. Er hat bereits vor „Berge des Verderbens“ mehrere Romane geschrieben, in denen bekannte Gestalten bzw. Archetypen des populären Westerns auf klassische oder speziell in der US-Mythologie verankerte Grusel-Kreaturen treffen, und sogar eine Serie („Nighthunter“) verfasst, die ähnliche Mystery-Inhalte thematisiert.

In einem Nachwort zum hier vorgestellten Roman beschreibt der Autor dessen Entstehungsgeschichte, die unter einem elementaren Problem litt: „Berge des Verderbens“ sollte in der Reihe „Lovecrafts Schriften des Grauens“ des Blitz-Verlags erscheinen. Doch Serkalow kannte bzw. schätzte das Werk von H. P. Lovecraft (1890-1937) nicht. Er sieht sich als Schriftsteller, der Geschichten klassisch, also mit Einleitung, Hauptteil und dramatischer Auflösung erzählt und dabei auf Tempo und Struktur achtet: Serkalow will seine Leser ‚mitnehmen‘, während Lovecraft ihnen ein Angebot unterbreitet: Er konfrontiert sein Publikum mit einer ‚Überwelt‘, in denen Entitäten agieren, deren Absichten vom Menschen nicht erfasst werden können. Lovecraft versucht dabei eine Darstellung, die auf die ‚notdürftige‘ Beschreibung unbegreiflicher Schrecken im Rahmen einer möglichst intensiven Atmosphäre setzt. Auf eine ‚logische‘ Auflösung legt er wenig Wert, sondern favorisiert das offene Ende.

Hier sah Serkalow Handlungsbedarf sowie eine Herausforderung. Er konzentriert sich auf jene Aspekte des Lovecraftschen Werkes, die ihn interessieren, und arbeitet sie in eine Geschichte ein, die er auf seine Weise ablaufen lässt. Diese Intention ist völlig legitim, zumal Schauplatz und Zeitpunkt der Handlung grundsätzlich mit Lovecraft korrespondieren: Seine gruseligen „Götter“ und ihre Schergen lauern und tücken gern dort, wohin es Menschen selten verschlägt - wieso also nicht im Wilden Westen?

Ein Schuss ins Blaue

Diese Frage wird im Laufe der Lektüre beantwortet, wobei Zustimmung wie Ablehnung gleichermaßen möglich sind. Wer seine Grusellektüre wie Serkalow stringent vorzieht, dürfte zufrieden mit einem Garn sein, das solide abgespult wird, ohne dabei allerdings die ‚Qualität‘ der weiter oben erwähnten „Geister-Western“ hinter sich zu lassen. Serkalow mag es abstreiten, doch Lovecrafts nüchtern-objektive Sicht hat ungeachtet der womöglich leserstörenden Eigenheiten seine Berechtigung. Tilgt man sie, bleibt vom „kosmischen Schrecken“ nur ein Panoptikum übermächtiger, böser, aber auch eindimensionaler Horror-Gestalten.

Serkalow greift jene Aspekte des Lovecraft-Grauens auf, die sich in eine Handlung fügen, in der es letztlich nur marginal um das menschliche Ringen mit dem gleichgültigen Bösen aus dem All geht. Quasi pflichtschuldig streut er Andeutungen und Hinweise auf den Altmeister ein. Manchmal geschieht dies plump, wenn Serkalow diversen Protagonisten Namen aufzwingt, die man aus Lovecraft-Erzählungen kennt. Hin und wieder gelingen dem Verfasser Szenen bizarren Schreckens, doch meist bleibt es bei plakativem Splatter-Horror, der nur bedingt überzeugend mit Lovecraft-Elementen („Necronomicon“, ‚monströse‘ Architektur, Tentakelmonster, Portale in fremde Welten) angereichert wird. Dazu ‚passt‘ ein Epilog, der Jahre nach dem Ausklang unserer Geschichte den einzigen Überlebenden der Expedition auf den unbeschadet aus dem Jenseits reinkarnierten Bösewicht treffen lässt: Fortsetzung folgt; jedenfalls dann, wenn sich genug Leser für dieses Werk interessieren sollten.

Fazit:

Der ‚altmodischen‘ Elemente des Lovecraft-Horrors entkleidete Neu-Entfesselung eines Grauens, das hier weniger „kosmisch“, sondern trivial-spannend ist; dies soll kein Negativ-Urteil sein, sondern diesen Roman als ‚entgratetes‘, den Lovecraft-Kosmos als Ideen-Steinbruch nutzendes und auf ‚direktes‘ Gruseln geeichtes Garn kennzeichnen.

Berge des Verderbens – H.P. Lovecrafts Schriften des Grauens 31

Anton Serkalow, Blitz

Berge des Verderbens – H.P. Lovecrafts Schriften des Grauens 31

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